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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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attraktivste auf dem Camino Francés . Verschleißerscheinungen machten sich da bemerkbar. Doch ein Abstumpfen gleich welcher Art konnte und wollte ich mir jetzt, so kurz vor dem Ziel, auf keinen Fall leisten. Ein We g stein kündigte Santiago de Compostela nach nur 130 Kilometern an. Drei bis vier Tage zu marschieren, nicht mehr. Dort sollte ich nicht schlechter anko m men, als ich gestartet bin. Wach auf, meine Seele! / Wacht auf, Harfe und Sa i tenspiel! Ich will das Morgenrot wecken. Ich will dich vor den Völkern preisen, Herr, dir vor den Nationen lobsingen. Denn deine Güte reicht, so weit der Hi m mel ist, deine Treue, so weit die Wolken ziehn. [76] So gelangte ich auf schmalen, mit Efeu und allerhand Grün verwachsenen Wegen nach Triacastela , meinem heutigen Ziel. Die Herberge dort war schön auf einer Wiese gelegen, moderne Häuser aus rotem Stein, alles fast neu, doch wieder einmal schon herunterg e wirtschaftet. Die Küche besaß kaum Geschirr, wohl damit die Gäste auswärts essen. Um zu duschen, hatte man gleichzeitig zwei Knöpfe dauerhaft zu drü c ken, was die Reinigung so ziemlich komplizierte. Beabsichtigt war wohl der sparsame Umgang mit Wasser. Und die Toilettenboxen waren so kurz beme s sen, daß man ab Kindergröße sein Geschäft nur bei offener Tür verrichten kon n te. Aber ich war an dem Tag noch früh dran und hatte um diese Zeit die Einric h tung fast nur für mich. Später ruhte ich auf der Holzbank der verglasten Aufen t haltsecke, die es hier auf jedem Stockwerk gab. Auf die Ortbesichtigung ve r zichtete ich, und ich glaube nicht, daß ich viel versäumte. Triacastela war ein Kaff, wie ich mich am nächsten Tag selbst überzeugen konnte. Einkaufen wäre vielleicht sinnvoll gewesen, da ich kaum noch was zu essen hatte, doch von Laufen hatte ich genug. Herumsitzen, Faulenzen, Lesen, andere Leute zu be o bachten und auszufragen, war besser. So lernte ich auch ein deutsch-holländisches Ehepaar kennen, das ein Loblied auf die spanische Gastfreun d schaft sang, sie seien auf einem Rastplatz von liebevollen Einheimischen mit g u tem Essen traktiert worden. Was zwar selten sein mag, doch grundsätzlich nicht in Abrede gestellt werden kann. Die schon älteren Herrschaften priesen die gute Tat in Höchsttönen, boten mir aber ihrerseits nichts von den mitgebrachten Le c kerbissen und dem Wein an, um sie zu vermehren. Ich trug es ihnen nicht nach und übte mich weiter in kühner Enthaltsamkeit. Hier wurde sowieso kaum noch geteilt, die meisten waren sich selbst die Nächsten. Und mir stand der Weg zum Einkaufsladen ja immer offen. Mein Zimmernachbar, ein junger, sympathischer Spanier, brach gleich nach dem Duschen in die Stadt auf. Ihn hätte ich nach se i ner Rückkehr ob der Entfernung zum nächsten Laden fragen können. Aber er kehrte an diesem Tag nicht mehr zurück, blieb sozusagen verschollen. So hatte ich das Zimmer für mich ganz allein, machte mir jedoch Sorgen um ihn, wenn ich in der Nacht aufwachte und das leere Bett sah. Sein Ausbleiben war b e stimmt nicht beabsichtigt, sonst hätte er sein Gepäck wohl mitgenommen. De n noch murrte ich, er hätte doch was sagen können. Am nächsten Tag, als wir in den kalten Morgen hinausgejagt wurden, stand sein Rucksack immer noch u n geöffnet und unberührt auf dem Bett, wo er ihn am Abend hingestellt hat.
Barbadelo, km 2841
    Das war gewiß nicht gut für ihn. Das schrie geradezu nach Rechtfertigung vor dem Herbergsvater. Hier herrschten überall strenge Sitten, um undisziplinierten Weltenbummlern, Billigurlaubern und Erlebnissuchern das Leben schwerer zu machen. Erst kürzlich wurde die Zahl der Pflichtstempel auf den letzten hundert Kilometern vor Santiago, der kleinsten amtlich anerkannten Pilgerstrecke, auf zwei pro Tag erhöht. Mit gutem Grund. Es war zu einfach, von Herberge zu Herberge mit dem Taxi zu fahren, den Tag und womöglich auch die Nacht bei Wein und gutem Gespräch in der Kneipe zu verbringen, und dazwischen etwas spazieren zu gehen. Zumal die Nationalstraße Nr. 1 immer entlang des Camino verlief, und viele der Pilgeranwärter den Strapazen spätestens nach einer Woche einfach nicht mehr gewachsen waren. Eine Blase wie ein Hühnerei oder ein Knie wie ein Ball sprachen für sich allein. All das aber zählte rein gar nichts bei den Verwaltern, das Leiden sollte sein, gehörte sozusagen zur seelischen Rein i gung dazu. So wurde die Herberge abends um acht Uhr zugesperrt und hatte um die selbe Stunde am Morgen wieder leer zu

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