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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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zwischen Himmel und Erde. Also schlief ich da r über wieder ein und achtete darauf, nicht früher wieder aufzuwachen, bis en d lich alle draußen waren, und ich ungestört den eigenen Schwächen nachgehen konnte. Was mir im großen und ganzen gelang.
    Endlich stand auch ich auf. Dabei machte ich mir alle Mühe, alles ganz langsam und behutsam angehen zu lassen und nichts zu überstürzen, denn dies war ein ganz besonderer Tag, an dem nichts schiefgehen durfte und bestimmt auch nicht schief ging, wenn ich nur meinen ungezügelten Willen im Zaum hielt und dem Herrn Raum in mir gewährte, so wie er ja Raum meinen Füßen gab. Also achtete ich darauf, mich in allem zurückzunehmen, nicht zu eifern und nichts zu bege h ren, tat alles leicht und vorsichtig, wie mit Flügeln berührt, damit es ja nicht zu viel wird. In der Küche traf ich dann nur noch Simon an, der es merkwürdige r weise auch nicht allzu eilig zu haben schien. Wir plauderten noch ein Stückchen, bis er sich endlich auf die Socken machte, und ich wollte ihm möglichst viel Vorsprung lassen, damit er nicht etwa irgendwo unterwegs zaudere, stehenbli e be, und ich ihn dann versehentlich einhole und sein grandioser Einzug in die Apostelstadt durch meine Gegenwart verpeste. Es war gut von mir, daran zu denken, und dafür klopfte ich mir einmal extra auf die Schulter. Guter Mann! Aber weil genug nie genug ist, zumindest nicht vor dem Herrn, nahm ich Mi t leid an den hundert Fliegen in der Küche, die es ins Freie zog, öffnete das Fe n ster und ließ sie hinaus. Sie waren da nicht in Gefahr, da alle Kleinvögel, Igel und Eidechsen zuvor von den spanischen Jägern erschossen wurden. Ein paar Zauderern, die sich von den Töpfen nicht trennen konnten, mußte ich nachhe l fen, fing sie im Flug flink mit der Hand und trug sie hinaus. Der Herr hat uns die Tiere anvertraut, und ich war hier der nächste in der Befehlskette. Eigentlich w ä re dafür der Wachmann zuständig gewesen, aber so, wie diese Leute sind?!
    Irgendwann half kein Zaudern mehr. Es war schon nach neun Uhr, die Baracke war komplett leer, und mein Platz war nicht mehr hier, sondern auf dem Pilge r pfad. Oder was davon übrig blieb. Ich schulterte den Rucksack und ging, noch etwas unsicher der Absicht des Herren wegen, denn all das hier war einfach u n vorstellbar. Womöglich doch noch eine Falle? Draußen aber wartete schon der Herr, und zusammen bestiegen wir die breite Treppe, die durch das Pilgerdorf zum Fuß des Monte do Gozo führt. Alles war herrlich und mild, wie es sein sol l te. Der Herr trieb sich beim Gehen auch nicht in der Gegend herum, wie er es sonst gerne tat, sondern blieb an meiner Seite, Schritt für Schritt. Die Sonne schien, und die Luft war frisch und würzig. Nirgendwo lag auch nur ein Fetzen Papier herum – wie noch gestern. Alles war perfekt. Vorsichtshalber prüfte ich meinen Körper. Also, gesund war ich noch nicht. Allerdings hatte ich auch keine Beschwerden. Der Kamillentee, den ich statt eines Frühstücks hatte, bereitete dem Verdauungstrakt keinerlei Umstände. Das Fieber war weitgehend weg – soweit ich es ohne Thermometer feststellen konnte. Sehnen, Muskeln, Gelenke funktionierten einwandfrei. Das Herz schlug langsam und regelmäßig, stach nicht gegen die Brust. Das Gehirn drückte nicht gegen den Schädel, ich sah nicht doppelt oder verschwommen, nichts brannte oder juckte. Nur die Fußso h len waren ein wenig taub. Alles war bestens. Ich war also auf dem Weg nach Santiago de Compostela, und es sah tatsächlich so aus, als ob ich dort anko m men sollte. Sant Jago, Saint Jean, Heiliger Jakob – was für ein Stadtname. Oder wartete da doch noch ein Lastwagen an der Ecke?
    Aber es gab keine Lastwägen hier. Es schien überhaupt keine Autos zu geben. Die Straßen waren leer und sauber. Pilger gab es offenbar auch kaum. Einmal sah ich welche vor einer futuristisch anmutenden Herberge zu faulenzen. Hü b sche, blonde Mädchen, die sich in der Sonne aalten. Ein anmutiges Bild. Ein paar übermütige Jungpilger, die ich einholte, traten eine platte Coladose vor sich hin. Ich ermahnte sie, die Demut vergessend und eigentlich auch ohne Hof f nung, sie könnten auf meine Aufmüpfigkeit hören. Aber sie schienen mich zu verstehen, entschuldigten sich und trugen gar die Dose zum Abfallkorb. Erstau n lich! Stück weiter fabrizierten ein paar Portugiesen mit Rufen: „Viva Santiago!“ Stimmung und Lärm. Als sie kein Echo fanden, gaben sie auf. Der Herr winkte nur ab. Alles

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