Bis ans Ende der Welt (German Edition)
gemalt vorhanden. Doch man schließt zu. Vielleicht gab es im Ort noch mehr Kirchen, aber ich hatte keine Kraft und Lust, danach zu suchen. Statt dessen lungerte ich ein bißchen herum und erfreute mich an einer schönen lehrreichen Geschichte im Aushang. Dann saß ich auf dem gepflegten Vorplatz am Brunnen und meditierte darüber, wie man dem Herrn nie gerecht wird und sinnlos an seiner Liebe zweifelt, bis mich die Mittagssonne von dem schattenlosen Platz vertrieb.
Die stichige Sonne und harter Asphalt plagten mich dann bis Interlaken. Im 12. Jahrhundert gründete man hier im Schatten von Eiger, Mönch und Jungfrau auf einem niedrigen Landsockel zwischen dem Brienzersee und dem Thunersee ein Augustinerkloster. Inter lacus , Seedazwischen, ist somit ein passender Name. Bis 1891 hieß der Ort jedoch noch Aarmühle und war völlig unbedeutend, bis im 19. Jahrhundert die Touristensaison begann. Berühmtheiten wie Johann Wolfgang von Goethe, Lord Byron und Felix Mendelssohn Bartholdy priesen es lautstark an. Schwer nachvollziehbar. Auf mich machte Interlaken keinen b e sonderen Eindruck. Alles scheint hier dem Tourismus zu dienen. Daß man aus Florenz, Paris, München und Rom mit dem Bus direkt reisen kann, sagt so ein i ges. Natürlich auch per Zug und Flugzeug. Hotels gibt es zuhauf. Laut Führer sind es dreiundsechzig Häuser mit viereinhalbtausend Betten. Fast so viele, wi e viel Interlaken Einwohner hat. Ich weiß nicht, ob die Achtbettzimmer im Bac k packers Hotel auch dazu zählen. Das war das einzige, was ich mir hier noch le i sten konnte und wollte. Auch zu besichtigen gab es nichts, außer vielleicht den Bahnhof, den Flugplatz oder das Casino. Nichts davon gehört zu meinen Vorli e ben. Zur Erbauung der Touristen landeten durchgehend Paragleiter und Fal l schirmspringer auf dem Hauptplatz. Als Reklame für irgend etwas, was ich nicht verstand. Und das Seltsamste? Alles ist voller Asiaten. Laut Führer angeblich Japaner. Naiv neugierig fragte ich also einen japanoiden Zimmernachbarn, was denn so viele Japaner nach Interlaken ziehe, aber er antwortete, er sei Koreaner. Das war freilich ein gewaltiger faux pas , da sich die Japaner während des zwe i ten Weltkrieges in Korea sehr schlecht benommen haben. Aber der junge Mann nahm es mir nicht weiter krumm und erklärte, Interlaken sei für jeden korean i schen Studenten ein absolutes Muß. Angeblich wegen eines Fotos vor oder an der Universität dort. Das hielt ich für übertrieben, geschwafelt und exotisch fremd, aber ich behielt meine Meinung für mich. Ich traf auch später immer wieder Koreaner auf dem Camino, alle waren sie zuvor in Interlaken, aber ke i ner konnte mir schlüssig erklären, warum. Das einzig Sehenswerte wäre der Blick auf das schneeweiße Jungfrauenjoch, aber da standen noch ein paar Wo l ken dazwischen, und die anwesenden Asiaten schienen sich darum überhaupt nicht zu kümmern. Dann fragte ich, weil ich schon dabei war und es einmal in einer Fernsehreportage gesehen zu haben glaubte, ob Koreaner denn Schlangen essen würden. Auch das war wohl schlecht getroffen. Der junge Mann verwies mich trocken auf die Beliebtheit von McDonald, KFC und anderen kulinar i schen Amerikanismen sowie die feine internationale Küche aus Pasta und G e müse. Also gab ich es auf, Geheimnisse der Koreaner in Interlaken zu enträ t seln, und ging statt dessen meine Kleidung waschen. Im Waschkeller fing ich dann ein interessantes Gespräch mit einem Jugendlichen aus London an. Er war schwarz, fett und picklig, und ich hätte ihn normalerweise nicht beachtet. Aber er konnte mir erklären, wie man den Wäschetrockner in Gang bringt, was er sehr engagiert tat. Auch hätte ich mich kaum in sein Gespräch mit einem Mädchen aus Australien eingemischt, aber er sprach sehr intelligent und weise. Auf me i ne, wie ich dachte, harmlose Frage, ob er Britte sei, antwortete er: „Schauen Sie mich doch an! Ich bin ein kleiner fetter Nigger! Kann jemand wie ich je ein Bri t te sein? Ich habe einen britischen Paß, das ist alles.“ Es klang nicht etwa bitter, und bei näherem Hinsehen hatte er völlig recht, und ich dachte, obwohl er wir k lich nur ein häßlicher fetter kleiner Nigger sei, daran gab’s keine Zweifel, kön n te England doch sehr stolz auf ihn sein, und ich wüßte nicht so schnell jemanden hier und da, der einen so schnellen Verstand, guten Humor und Sinn für Realität hätte. Weiß, reich und wohlgeboren wäre er mit seinen gesellschaftspolitischen Ideen
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