Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
hinzu und seine Stimme zitterte nun richtig.
»Aber warum …?«, hob Oskar an, wurde jedoch sogleich wieder von seinem Vater unterbrochen.
»Ich habe Angst, euch wehzutun«, erwiderte Manfred Habermick. »Und ich habe Angst, dass ich nie wieder richtig gesund werde. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass ihr ziemlich enttäuscht von mir seid.«
»Nee«, sagte Oskar. »Sind wir nicht.« Natürlich hatte er keine Ahnung, wie seine Mutter das empfand, doch er war sich sehr sicher, dass sie seinen Vater verstand und ihm längst verziehen hatte.
»Kannst du nicht ein bisschen zu mir herauskommen?«, fragte er. »Oder ich zu dir hinein?«
Manfred Habermick drückte die Hände seines Sohnes noch einmal sanft, ehe er sie losließ. »Ich glaube, ich komme lieber zu dir heraus«, sagte er. »Wir könnten ein bisschen durch den Wald spazieren. Das mache ich jeden Tag und ich mache es furchtbar gern.«
»Oh ja«, sagte Oskar. »Das wäre cool.«
Ein feines prickelndes Glücksgefühl breitete sich unter seinem Brustbein aus. In diesem Augenblick war er felsenfest davon überzeugt, dass Dreien so etwas wie Krücken waren, die man nutzen, genauso gut aber auch fortwerfen konnte. Das Leben kümmerte sich nicht um solche Zahlen, und das Gute daran war, dass man deshalb auch nicht wirklich etwas verkehrt machen konnte.
»Gut«, sagte Manfred Habermick. »Dann warte einen kleinen Moment hier. Ich hole nur ein wenig Proviant für uns, damit wir ein Picknick machen können.« Er sah Oskar eindringlich, fast flehend an. »Und keine Sorge, mein Junge, ich komme ganz bestimmt wieder.«
»Ich weiß, Papa«, sagte Oskar. »Ich warte am Tor auf dich.«
Als Mathilda die Augen aufschlug, dachte sie im ersten Moment, dass sie zu Hause in ihrem Zimmer in Vielendorf wäre.
Ihre Mutter stand an ihrem Bett und guckte so, wie sie immer guckte, wenn sie sich ausnahmsweise mal für ihre Tochter interessierte.
»Wo ist der Junge?«, fragte sie harsch.
Mathilda setzte sich auf. »Welcher Junge?«
»Na, dieser … äh, wie hieß er noch gleich …?«
»Oskar?«
Barbara von Dommel nickte. »Ja, ich glaube, den meine ich.«
»Mensch, Mama.« Stöhnend zog Mathilda die Decke zur Seite und sprang aus dem Bett. »So kompliziert ist Oskars Name doch gar nicht. Du könntest ihn dir wirklich allmählich mal merken.«
»Jaja«, meinte ihre Mutter abwiegelnd. »Aber wo ist er denn nun?«
Mathilda warf einen Blick auf das Bett unter dem Fenster. Es sah genauso aus wie ihres: Das Kopfkissen war zerwühlt und die Decke zurückgeschlagen. »Woher soll ich das wissen?«, brummte sie. »Ich habe bis gerade eben geschlafen.«
»Du hast also nicht mitbekommen, was passiert ist?«
Mathilda schüttelte den Kopf. »Was soll denn schon groß passiert sein?«, antwortete sie ungeduldig. »Die Entführer wollen schließlich mich und nicht ihn.«
Barbara von Dommel lachte kurz und schrill. »Was geht nur in deinem Kopf vor?«, entgegnete sie. »Es gibt überhaupt keine Entführer.«
»Jaja«, sagte jetzt Mathilda, während sie sich ihr Schlafanzugoberteil über den Kopf zog. »Um Oskar brauchst du dir jedenfalls keine Sorgen zu machen. Er ist bestimmt bloß mal schnell aufs Klo gegangen. Oder unter die Dusche.«
Ihre Mutter sah zum Waschbecken hinüber. »Jedenfalls bin ich froh, dass er seine Morgentoilette nicht vor deinen Augen erledigt.«
»Glaubst du etwa, er putzt sich die Zähne anders als ich?«, erwiderte Mathilda. Sie schnappte sich das T-Shirt vom Vortag und streifte es sich über.
»Du weißt genau, was ich glaube«, sagte Frau von Dommel streng.
»So ist es aber nicht«, verteidigte Mathilda sich. »Oskar und ich sind einfach Freunde.«
»Dann ist es ja gut«, sagte ihre Mutter und musterte sie von oben bis unten. »Du hast auch noch nicht einmal Busen«, stellte sie erleichtert fest. »Trotzdem lässt du den Jungen bitte in Ruhe zu Ende duschen«, fügte sie nach kurzer Überlegung hinzu.
»Keine Sorge«, knurrte Mathilda.
Sie zog die Pyjamahose aus und ihre Shorts an und schlüpfte anschließend in ihre Sandalen. »Außerdem: Was wir an der Autobahnraststätte im Gebüsch gemacht haben, weißt du ja inzwischen.«
»Genau darum geht es«, erwiderte Barbara von Dommel.
Mathilda horchte auf. »Wie meinst du das?«
»Das wirst du schon sehen«, gab ihre Mutter zur Antwort. »Und jetzt wasch dir den Schlaf aus den Augen und sieh zu, dass du runterkommst. Frau Wallis erwartet uns schon.«
Es dauerte nur ein paar Minuten und
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