Bis ans Ende der Welt
dahinter.«
Der Bus wurde langsamer und hielt vor einem Café-Restaurant an. Als alle ausgestiegen waren, nahm der Fahrer einen Sack Post aus dem Gepäckraum und trug ihn in das Café, auf dessen Dach eine Krähe Platz genommen hatte und sich die Touristen interessiert ansah. Hinter dem Haus stand ein verrosteter, ausgeschlachteter Reisebus. Die Scheiben fehlten, er sah aus wie das Skelett eines Dinosauriers. Jemand hatte mit rosa Farbe »Priscilla« und ein Totenkreuz darauf gesprüht.
Miriam ging mit Hilda und Helge im Schatten der Veranda etwas essen, was sich Ralf leider nicht leisten konnte. Er kaufte nur ein Sandwich aus der Vitrine, lief ein bisschen herum und kam dann auf die Idee, Postkarten zu schreiben. Die kosteten zwar auch Geld, aber er hatte was gutzumachen: bei seinen Eltern, die den Flug bezahlt hatten, bei seinen Freunden, die er vernachlässigt hatte, und bei Kristine, die er, nun ja, mit einem Kuss betrogen hatte. Wenn er Kristine nicht finden würde, sollte sie wenigstens wissen, dass er es versucht hatte und dass er an sie dachte. Er suchte zwei billige Karten für Eltern und Freunde aus sowie eine teure und setzte sich zu den anderen drei an den Tisch.
Die beiden ersten Karten waren schnell erledigt, die Karte an Kristine brauchte lang. Ralf setzte den Text auf einer Serviette auf, feilte hier und feilte da, fügte ein »einsam« ein, stellte noch einmal um, bis er endlich sicher war, ein Meisterwerk geschaffen zu haben. Sollte er es Miriam zeigen? Sie konnte ruhig erfahren, dass sich an seiner Liebe zu Kristine nichts geändert hatte. Andererseits - sicher würde sie etwas bemängeln, und er wollte nicht, dass an seinem Text herumgemosert wurde.
»Bist du endlich fertig? Lass mal sehen.«
Miriam grabschte nach der Karte, Ralf hielt sie fest.
»Ach bitte!« Sie sah ihn treuherzig an - Ralf ließ die Karte zögernd los.
Liebe Kristine,
einsame Station auf einem einsamen Highway irgendwo in Australien. Verfallenes Haus, Krähen, die sich um die letzten Abfälle streiten, der Blick verliert sich in der Ferne. Ich weiß jetzt, warum du herkamst: Das Land ist wild und schön wie du. Und so groß, dass ich kaum noch Hoffnung habe, dich zu finden.
Aber ich gebe nicht auf.
Immer währende Liebe, dein Ralf
»Sag mal, da hast du ja ein bisschen dick aufgetragen.«
»Wieso?«
»Hier ist es weder einsam noch ist das Haus verfallen noch sehe ich hier irgendwelche Krähen.«
»Da sitzt eine auf dem Dach.«
»Na schön - eine. Und ›immer währende Liebe‹. Bist du da sicher?«
»Natürlich.«
Ralf hatte gewusst, sie würde seinen Text mies machen. Nie wieder bekäme sie was von ihm zu lesen, so viel stand mal fest.
Ein Farmer fuhr mit einem Pickup vor und stieg aus, den Motor ließ er laufen. Auf der Ladefläche spähte sein Schäferhund die Gegend aus. Bevor der Mann, dem die Natur kaum einen Hals, dafür einen umso breiteren Nacken zugedacht hatte, im Café verschwand, grüßte er alle freundlich. Fünf Minuten später kam er zurück, mit ein paar Umschlägen in der Hand.
»Hol mir jeden Tag hier meine Post«, klärte er das Grüppchen auf der Veranda auf, »der Bus bringt sie mit.«
»Wie wird das Wetter?«, fragte Miriam den Mann. »Hält sich die Sonne noch ein paar Tage?«
Er zuckte mit den massigen Schultern. »Versprochen haben sie’s. Aber ich traue dem Wetterbericht nicht.«
»Warum nicht?«, fragte Ralf. »Es ist doch kein Wölkchen zu sehen.«
»Das mag sein«, antwortete der Farmer bedeutungsvoll, »aber hier draußen können Sie vier Jahreszeiten an einem Tag erleben.«
Alle nickten, der Hund auf dem Auto bellte zustimmend. Sein Herrchen stieg ein und fuhr ab. Ralf rätselte, ob dieses »vier Jahreszeiten an einem Tag« irgendeine übertragene Bedeutung hatte - offenbar war er der Einzige, der nicht wusste, was damit gemeint war.
Im Backpacker in Bondi angekommen, bemerkte Kristine, dass die Toiletten um einiges sauberer aussahen als noch vor zwei Tagen. Und sie stellte fest, dass nicht nur Helge verschwunden war, sondern auch die drei Italiener. Pam fand das schade, aber Kristine erklärte ihr, das wären nur Bubis gewesen. Wer wirklich was erleben wolle, dürfe sich nicht mit Kindern abgeben.
Pam fragte: »Was hast du gegen Kinder?«
Kristine lachte. »Nichts. Willst du mal Kinder?«
»Ja, zwei, einen Jungen und ein Mädchen.«
»Weißt du schon, wie sie heißen sollen?«
»Frederick und Yasmin. Und ich werde jeden häuten, der Frederick mit ›Fred‹
Weitere Kostenlose Bücher