Bis ans Ende der Welt
Gewissen.
Hilda legte sich in den Sand zurück und sah, eine Hand vor Augen gegen die blendende Sonne, hinaus aufs Meer, wo ein paar Möwen flogen. Dann sagte sie: »Wir könnten eine Woche hier bleiben. Nur wir zwei.«
»Und was ist mit Miriam und Helge?«
»Findest du nicht, dass sie stören würden?«
Würden sie vermutlich.
»Außerdem«, fuhr Hilda fort, »kann Miriam mich nicht leiden.«
Ralf protestierte, aber ganz falsch war das nicht. Jetzt mit ihr Ferien machen, hieße allerdings, die Suche nach Kristine abbrechen, denn er konnte schlecht mit Hilda im Arm …
Sie schien seine Gedanken zu lesen. »Wir können auch weiterfahren und deine Freundin suchen - nur wir beide.«
»Und wenn wir sie finden?«
»Dann musst du dich entscheiden. Egal wie, ich werd’s akzeptieren. Wenn du sie wählst, hatten wir immerhin schöne Tage zusammen.«
Ralf wusste nicht recht, was er sagen sollte. Klang nach einer sicheren Sache, keine Frage: So oder so würde er mit einer klasse aussehenden Freundin dastehen - risikolos. Jetzt dagegen hatte er niemanden und schließlich war er ein Mann und Männer hatten Bedürfnisse. Nur - wohl war ihm bei dieser Geschichte nicht. Eigentlich liebte er ja Kristine, da konnte er nicht mit Hilda... auch wenn sie verdammt gut aussah.
»Nein, tut mir Leid.«
Sie sah ihn an, als hätte er chinesisch gesprochen. »Warum nicht?«
»Weil - es geht nicht.« Das war nicht berauschend als Begründung, und Ralf befürchtete schon, sie würde ihn mit ein paar deftigen Beleidigungen eindecken und furchtbar sauer sein.
Stattdessen fragte sie: »Heißt das, du fährst morgen mit Miriam weiter?«
»Ja.«
»Okay, dann gehen wir beide morgen wieder eigene Wege. Und jetzt?«
Mit dem Nagel ihres Zeigefingers fuhr sie in Höhe ihrer Brüste an der Unterseite ihres Tops entlang. Ja, dachte Ralf, das wär’s jetzt, aber es war nicht nur Kristine, die ihn davon abhielt: Was sollte er Miriam sagen? Der Gedanke, dass sie davon erfahren könnte, klemmte sich irgendwo unter seinen Rippenbogen und blieb dort stecken.
Hilda machte einen Schmollmund. »Wenn du dir wegen allem den Kopf zerbrichst, hast du keinen Spaß im Leben.«
Sie hatte Recht: Sex und Liebe waren nicht dasselbe. Man konnte jemanden lieben und doch mit einer anderen Spaß haben. Ideal wäre natürlich beides in einem Menschen, aber wenn es eine einmalige Gelegenheit wie diese war, die einem das Schicksal nur in dieser Sekunde gab? Allerdings würde er es hinterher bestimmt bereuen, denn wenn man vorher schon kein gutes Gefühl bei der Sache...
Ralf kam nicht dazu, zu Ende zu denken: Hilda zog ihn zu sich hinunter in den Sand, dann ging alles irgendwie automatisch, und es fühlte sich toll an, kein Zweifel.
Jemand räusperte sich.
»Tut mir Leid, damit müsst ihr warten, bis es dunkel ist.«
Ein braun gebrannter älterer Herr mit schneeweißem Schnauzer sprach zu ihnen, er hatte eine Art Kapitänsmütze auf, wahrscheinlich war er Bademeister oder so was.
Er sah an Ralf und Hilda vorbei Richtung Meer, als spräche er mit den Möwen: »Versteht ihr? Das geht nicht.«
Ralf schämte sich in Grund und Boden: Seine Jeans hing schon fast bei den Knien. Er zog sie hastig rauf, oh Mann, beinahe hätte er mitten am Tag am Strand - war er bescheuert?
Hilda bedachte den Mann mit einem Lächeln, das offenbar Verlegenheit ausdrücken sollte. Sobald sie das Bikini-Oberteil wieder angelegt und sich der Bademeister ein paar Schritte entfernt hatte, fauchte sie: »Schau dir diesen alten Spanner an, unglaublich, oder? Gehen wir woandershin.«
»Wollen wir nicht lieber zurück?«
Hilda sah ihm ins Gesicht. »Dann treffen wir uns heute Nacht, okay? Ich warte, bis Helge schläft. Er muss das nicht wissen, es betrifft ihn ja nicht.«
Ralf fragte sich, wen sonst.
Auf dem Weg zurück erkundigte er sich nach dem Tränengaseinsatz gegen die Matrosen.
Hilda blieb vage, was den Ort des Kampfes anging - wie das Tränengas wirkte, beschrieb sie dagegen genau: »Geheult und gehustet haben die Typen, gerotzt und gereihert. Es hat Stunden gedauert, bevor die wieder einigermaßen klar sehen konnten.«
»Woher weißt du das?«
Hilda stockte. »Hat man gesehen. Die sahen echt übel aus, haben kaum noch Luft bekommen.«
Ralf nickte, blieb aber skeptisch: Dieses kleine Fläschchen? Wenn im Fernsehen die Polizei bei Demonstrationen Reizgasgranaten einsetzte, sahen die Demonstranten davon nicht besonders beeindruckt aus.
In der Küche des Backpackers trafen sie
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