Bis ans Ende der Welt
Kakerlaken. Die kommen in der Dunkelheit raus.«
»Okay. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.« Sie winkte und wandte sich zum Gehen.
»He! Und mein Gutenachtkuss?«
Miriam kam zurück, hauchte Ralf einen Kuss auf die Wange und sagte: »Träum was Schönes. Von Kristine.«
Wer dachte denn jetzt an Kristine? Wenn er einen Wunsch frei hätte, dann Miriam hier bei sich zu haben. Er wollte ihren warmen Körper spüren, durch ihr Haar streichen, sie in den Nacken küssen und sich an sie schmiegen. Sie musste doch wissen, dass Hilda ihm nichts bedeutete. Aber natürlich hatte er keinen Wunsch frei, und eigentlich sollte er an Kristine denken, auch wenn sie gerade nicht da war.
Miriam war ein Rätsel: Ralf war sicher, dass sie ihn mochte. Warum war sie dann so fies? »Kakerlaken zählen« war doch hoffentlich ein Witz. Kleintiere, besonders große Kleintiere, waren ihm nicht geheuer. Er schlüpfte tiefer in den Schlafsack und versuchte, schnell einzuschlafen. Zum Glück war es in der Küche nicht vollkommen dunkel: Im Gang brannte ein Notlicht, dessen Schein sich im Glas der Vitrine und im Metall einiger Kochtöpfe spiegelte.
Eine Viertelstunde hatte er auf Geräusche krabbelnder Schaben gelauscht, als er plötzlich etwas hörte. Ralf lugte unter seinem Schlafsack hervor und sah sich um: Auf dem Boden schien sich nichts zu bewegen. Vorsichtig stand er auf, um nicht auf ein Exemplar zu treten, schlich zum Lichtschalter und schaltete an. In der Tür stand Hilda in T-Shirt und Slip.
»Ich konnte nicht schlafen«, klagte sie, »geht’s dir auch so?«
»Nein«, log Ralf, »ich habe nur ein Geräusch gehört.«
»Ich mach mir einen Tee, dann geh ich wieder.«
»Okay.« Ob sie ihn wirklich vernaschen wollte, wie Miriam gesagt hatte?
Nachdem sie das Wasser aufgesetzt hatte, fragte Hilda: »Ralf?«
»Ja?«
»Findest du mich schön?«
»Ja, klar.« Alles andere wäre gelogen.
Hilda setzte einen Teebeutel in ihre Tasse. »Weißt du, warum ich nicht schlafen konnte? Weil ich an dich gedacht habe.«
Draußen ging das Licht an, jemand tapste aufs Klo. Hilda goss Wasser in ihre Tasse und sah Ralf an.
Nun gut, Miriam hatte Recht: Hilda stand auf ihn. Und sie hatte nur Slip und T-Shirt an, aber mehr trug Ralf auch nicht, warum auch. Alles normal also. Dennoch ziemlich aufregend - Ralf spürte, dass es ihm gleich anzusehen wäre, also schlüpfte er bis zum Bauchnabel in den Schlafsack.
Sie nahm den Teebeutel aus der Tasse und fragte: »Kann ich mich zu dir setzen?«
»Klar.« Ralf zuckte mit den Schultern. Konnte man schlecht verbieten.
Die Klospülung rauschte. Hilda sah zur Küchentür hinaus, es war Helge. Er entdeckte sie und kam näher.
»Willst du auch einen Tee?«, begrüßte sie ihn.
»Nein danke.« Helge sah kurz zu Ralf und fragte Hilda unsicher: »Bist du nicht müde?«
»Doch, sehr. Ich hatte noch Durst.« Sie hielt die Teetasse hoch.
»Aha.«
»Ich komme gleich.«
Das war offensichtlich eine Aufforderung an ihn, sich zurückzuziehen. Aber Helge wollte jetzt doch Tee, es war noch heißes Wasser übrig.
Hilda rührte ihren Tee um, Helge schwenkte den Teebeutel im Wasser hin und her, Ralf schlüpfte tiefer in den Schlafsack - keiner sagte was. Erst als Hilda ihren Tee getrunken hatte, brach sie das Schweigen.
»Ich geh schlafen.« Sie warf Ralf einen kurzen Blick zu und ging.
»Mmh. Ich auch. Gute Nacht, Ralf.« Helge hatte seinen Tee kaum angerührt.
»Gute Nacht. Und mach das Licht aus.«
Als Helge weg war, begann Ralf in seiner Vorstellung, eine Kakerlake nach der anderen die Toilette hinunterzuspülen.
12.
»Haha. Nils, schau mal, da schläft einer!«
»He, stimmt! Wie kommt der hierher?«
Jemand stieß gegen Ralfs Liege. »He, du da, Guten Morgen. Wir wollen Frühstück machen. Stört dich doch nicht?«
Ralf streckte den Kopf aus dem Schlafsack. Ein rotbackiges, aufgekratztes Pärchen in Wanderklamotten kochte Kaffee, mit dem Geräuschpegel eines Punkkonzerts. Ralf quälte ein »Morgen« hervor.
»Ich bin Bine, das ist Nils. Aus Schweden. Woher bist du?«
»Aus Deutschland. Ich heiße Ralf.« Um weiteren Fragen zuvorzukommen, nahm er seinen Schlafsack und stapfte hinaus. Er würde sich einfach zu Miriam ins Bett legen, ob es ihr passte oder nicht.
Zu Ralfs Überraschung war sie nicht da. Er warf sich auf das Bett - es war noch warm - und schlief sofort ein.
»Na, fühlst du dich wohl in meinem Bett?«
Ralf wachte auf. Jemand kitzelte ihn; es war Miriam.
»Komm, steh auf, ich hab Frühstück
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