Bis ans Ende der Welt
unglücklich auf den Mund. Die Unterlippe platzte, Nase und Kinn bluteten heftig. Das Mädchen steckte das Spray in ihren Ausschnitt.
»Mist, verdammt. Wir verschwinden lieber.«
Das Pärchen hastete gemeinsam den Strand hinunter, Kristine blieb mit Marc und Helge zurück.
Marc sah übel aus. Mit etwas Glück würde er nach ein paar Tagen wieder sprechen und essen können. Das durfte doch nicht wahr sein! Wäre bloß dieser idiotische Gedichteschreiber Helge nicht aufgetaucht, dieser Blödmann mit seinen Jungfrauen und Jünglingen und weiß Gott nicht was. Musste denn immer alles schief gehen?
Helge lag vor ihr auf dem Boden und schniefte, zu seiner Dosis Gas hatte er sich noch das Knie aufgeschlagen. Marc kam langsam wieder auf die Beine, aber ihm wurde gleich schwindlig und er musste sich wieder setzen. Kristine bat einen älteren Herrn, die Ambulanz zu rufen.
Sydney hatte offenbar Fernwirkung. Helge kannte sie aus Sydney, Marc war von dort, das konnte ja nicht gut gehen.
Es war bereits Mitternacht vorbei, und alles, was Ralf an Gedicht für Miriam einfiel, war:
Miriam kriegt ein Gedicht, aber fertig ist es nicht.
Nach einem Stadtbummel waren sie wieder im Backpacker angekommen. Miriam ging unter die Dusche, Ralf schnappte sich schnell ein Handtuch und nahm die Kabine neben ihr. Sein Shampoo war irgendwo im Rucksack, also hatte er nicht lange danach gewühlt, sondern hoffte darauf, Miriam würde ihm ihres leihen.
»Klar, mach ich!«, rief sie. »Achtung, kommt!«
Ralf bückte sich, um zu sehen, wo es blieb, aber da hatte sie’s schon über die Trennwand geworfen und die Flasche landete auf seinem Kopf.
»Au! He, ich dachte, du schiebst es unten durch.«
Sie lachte. »Stell dich nicht so mädchenhaft an.«
Mädchenhaft? »Wieso mädchenhaft?«
»Erklär ich dir später. Bist du fertig mit dem Shampoo?«
»Ja.«
»Gib mal her, ich brauch noch was.«
Moment. Drüber oder drunter? Unten durch war mädchenhaft, auch wenn Ralf nicht genau wusste, warum. Warf er es aber rüber, war das ein Geständnis, mädchenhaft gewesen zu sein.
»Drüber oder drunter?«
»Wie du willst.«
Ralf klemmte die Flasche zwischen die Zähne, machte einen Klimmzug an der Trennwand und sah auf die andere Seite. Die Wassertropfen auf Miriams Körper glitzerten im Licht der Deckenlampe. Ralf versuchte, mit den Augen ein Foto fürs Gedächtnis zu schießen - sie war zum Hinknien schön. Miriam nahm ihm ungerührt die Flasche aus dem Mund und schmierte sich Shampoo in die Haare. Ralf sah noch, wie ein Batzen Schaum an ihrer Schläfe hinablief, über den Hals floss und in ihren Busen mündete, bevor die Kraft in seinen Armen nachließ.
»Anstrengend, hm?«
»Weißt du, warum es Sham-Po heißt, obwohl man es auf den Kopf tut?«
»Nein.« Miriam kicherte. »Warum?«
»Na, weil es das Wort Sham-Haar schon gibt natürlich.«
Sie lachte.
»Ralfi, deine Kalauer sind grauenvoll. Kennst du noch einen?«
Marc wollte nicht, dass sie mit in die Ambulanz kam, also blieb Kristine mit Helge zurück.
Die Sanitäter hatten Helge gefragt, ob er okay sei, und tapfer hatte er Ja geantwortet. Als sie weg waren, sagte er: »Es muss Schicksal sein. Das Kleid, das Gedicht - und jetzt sind nur noch wir zwei übrig.«
Kristine war sprachlos. Am liebsten hätte sie Helge eine gefenstert, aber er sah mitgenommen genug aus.
»Was, das soll mein Gedicht sein?«
»Nein, nein, das ist nur das Ankündigungsgedicht, deins ist noch nicht fertig, wie das Gedicht schon sagt.«
»Aha. ›Miriam kriegt ein Gedicht, aber fertig ist es nicht.‹ Und wann ist es fertig?«
Ralf lag unten im Stockbett, Miriam oben. Das Licht war aus, alle im Schlafsaal schliefen, sie flüsterten. Wegen eines Defekts der Klimaanlage war es heiß und ein bisschen stickig.
»Bestimmt morgen.«
»Und spätestens?«
»Übermorgen.«
»Also gut. Ich gebe dir sogar drei Tage Zeit für das Gedicht, ich will ja keinen Pfusch. Aber - das muss klar sein - ich will sicher sein, dass es keine Hinhaltetaktik ist, weil du deinen Tag als Diener auf Sankt Nimmerlein verschieben willst.«
»Da kannst du völlig beruhigt sein.«
»Und das Gedicht muss mir gefallen.«
»Wird es.«
»Sicher?«
»Sicher.«
»Dann hast du ja nichts dagegen, den Tag als Diener in einen Tag als Sklave umzuwandeln, falls du in drei Tagen kein Gedicht geschrieben hast, das mir gefällt.«
»Woher weiß ich, dass du nicht einfach behauptest, das Gedicht sei Mist, nur um mich einen Tag als Sklaven zu
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