Bis ans Ende der Welt
bezahlen wollten, fragte der Manager Miriam und Ralf, ob sie nicht noch einen Tag bleiben wollten - die Klimaanlage würde am Vormittag repariert, danach wäre es wieder angenehmer. Ralf hätte sich überreden lassen, aber Miriam wollte nicht: Sie plante einen kurzen Einkaufsbummel mit Cappucino-Frühstück, dann einen Ausflug an die Küste und am Abend die Abreise, nachts fahren spare Geld. Ralf ging nicht mit zum Einkaufen, er war ohnehin pleite.
Als sie fort war, schmierte er sich zwei Vegemite- Brote und begann nachzudenken. Miriam hatte Recht: Wie konnte er sie küssen und gleichzeitig auf der Suche nach Kristine sein? Das ging nicht. Er packte das Fernrohr aus und stellte es auf das Stativ. Das knirschende Geräusch klang wie eine Getreidemühle. Es war kein bisschen besser geworden, es hörte sich schlimmer an.
Ein rothaariger Junge mit dicker Unterlippe kam ins Zimmer und ging auf ihn zu.
»He, ist das ein Fernrohr?«
Ralf nickte. Von der Unterlippe des Jungen drohte ständig Speichel zu tropfen.
»Kann ich mal durchsehen?« Er hatte es schon in der Hand, aber anstatt nur einen Blick durch das Rohr zu werfen, trug er es zum Fenster und begann, die Umgebung zu inspizieren. »Wow, echt ein geiles Fernrohr, guckst du damit in Apartments? Möpse vergleichen?« Er lachte und zwinkerte Ralf komplizenhaft zu. Dann stellte er fest: »Geht ein bisschen schwer. Musst du mal ölen.«
Ralf nickte. Der Typ war nicht besonders sympathisch, aber Öl war vielleicht keine schlechte Idee. Ralf besorgte beim Manager ein Ölkännchen, breitete Zeitung auf dem Bett aus, darüber einen Lappen, und träufelte vorsichtig Öl in das gute Stück.
Miriam kam mit Proviant und einem bunten, zerknautschten Plastiketwas zurück.
»Was ist denn das?«, fragte Ralf.
»Etwas, was es in Deutschland nicht gibt«, antwortete sie geheimnisvoll, »was man mit zum Strand nimmt.«
»Aha.« Ralf war gespannt. »Warum gehen wir dann nicht?«
Der Besuch im Krankenhaus hatte Kristines Laune nicht gebessert. Marc sah furchtbar aus: Röhrchen in der Nase, Mund und Kinn blutverkrustet, die Haut über dem linken Wangenknochen glänzte lila. Er konnte nicht essen und durfte nur wenig sprechen. Mehr noch als die Verletzungen machte ihm offenbar die Schande zu schaffen - er versuchte drei Mal, sich bei Kristine zu entschuldigen, weil er sie nicht beschützt habe. Ebenso oft bedankte er sich, dass sie ihn im Surf & Sun abgemeldet und seinen Rucksack mitgebracht hatte.
Jetzt lag sie mit Pam und deren Verehrer am Strand. Robby sagte nichts, er lag einfach neben Pam. Kristine hätte gern gewusst, was sich gestern abgespielt hatte, aber solange Robby dabei war, konnte sie schlecht fragen.
»Gehen wir ins Wasser?«
»Hm. Vielleicht später.« Pam hatte sich gerade eingecremt.
»Na los«, beharrte Kristine und sah sie durchdringend an. Pam verstand und kam mit. Robby wurde verpflichtet, auf ihre Sachen aufzupassen.
»Und?«
»Nein, nicht, was du meinst.«
Kristine kicherte. »Was dann?«
Sie standen bis zum Knie im Wasser und beschlossen, am Strand spazieren zu gehen, statt zu schwimmen.
Als sie eine halbe Stunde später wieder zurück waren, wusste Kristine alles: Mehr als rumknutschen hatte Pam Robby nicht erlaubt und er hielt sich dran. Sie erinnerte ihn an seine erste Freundin, deswegen war er rasend verliebt und verzehrte sich nach ihr. Er würde alles für sie tun, behauptete er zumindest, sogar heiraten und mit ihr nach Neuseeland gehen.
Pam fragte sich, ob sie zu weit gegangen war und ob sie Robby nicht besser loswerden sollte. Als Pam »heiraten« sagte, erinnerte sich Kristine an ihren Freund in Deutschland: Hatte Ralf in der Abschiedsnacht nicht auch was von ewiger Liebe gesagt? Er hatte ihr keinen Antrag gemacht, aber irgendwie davon geredet. Der Ärmste musste ja ziemlich verschossen in sie sein. Sie sollte ihm endlich diese Karte schreiben. Sicher saß er ungeduldig zu Hause herum, wartete auf Post und dachte an sie.
Auf der Busfahrt zur Küste dachte Ralf an Kristines Fernrohr. Er hätte es nicht auf dem Bett liegen lassen sollen. Allerdings, wer klaut schon ein beschädigtes Fernrohr? Doch wohl niemand.
Er fragte Miriam, aber anstelle einer Antwort wollte sie wissen: »Weißt du, was eine Spinne mit dem Fernrohr gemeinsam hat?«
»Nein.«
»Gottesanbeterinnen verspeisen zur Paarung gern ihre Männchen. Also bringen die Männchen eine erbeutete Spinne mit, in der Hoffnung, das Weib ist nach deren Verzehr satt und milde
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