Bis ans Ende der Welt
einen Betonpfeiler gießen und im Pazifik versenken, sobald er die Geschichte mit dem Fernrohr beichtete. Andererseits hätte er jede Minute ein schlechtes Gewissen, wenn er die Klappe hielt. Er könnte natürlich ein neues Fernrohr kaufen, aber womit? Sein Bankkonto war überzogen, seine Eltern konnte er eigentlich nicht anhauen, die hatten den Flug bezahlt, und bei Miriam stand er in der Kreide. Ihm fiel ein, dass er ihr nicht nur Geld, sondern auch ein Gedicht schuldete: Die Hälfte der drei Tage war rum, ohne dass er eine Silbe weitergekommen wäre. Er saß in der Scheiße.
Als Kristine aufwachte, fühlte sich ihr Kopf an wie ein Dinosaurier-Ei. Forscher hatten es gerade ausgegraben und leuchteten mit einer starken Lampe drauf. Während der Jahrmillionen war die Schale bröselig geworden, bei jeder Bewegung schwappte das Dotter dagegen und drohte die Wand zu sprengen. Das tat weh, höllisch weh. Und Durst hatte sie, ihre Lippen waren rissig, die Kehle trocken. Sie öffnete die Augen.
Als sie sich halbwegs an die Helligkeit gewöhnt hatte, entdeckte sie ein Glas Wasser vor ihrem Bett, zwei Aspirin und einen Zettel: Aus meiner Reiseapotheke. Gute Besserung! In Liebe, Helge.
Kristine warf die Tabletten ins Glas. Während es zischte und sprudelte, begann sie, sich an den Abend zu erinnern: Billard. Bier. Helge. Cocktails. Dann fehlte ein Stück Erinnerung. Irgendwie war sie ins Backpacker gekommen, da war ein Eimer, aber sie hatte sich nicht übergeben. Oh ja, doch. Helge hatte ihr danach geholfen. Moment, warum Helge? Was hatte der in ihrem Zimmer zu suchen? Wie kam er dazu, ihr schwülstige Worte auf Zettel zu schreiben, »in Liebe«, Gott im Himmel! Er kannte sie doch gar nicht, und sie würde ihm auch nie erlauben, sie zu kennen.
Langsam dämmerte Kristine: Sie stand in der Schuld desjenigen, den sie am wenigsten leiden konnte auf dem gesamten Planeten. Und der hockte ihr auf der Pelle, erwartete wahrscheinlich, dass sie sich auf Knien bedankte und für den Rest aller Tage selbst gestrickte Gedichte und Liebeserklärungen anhörte. Der Pickel Helge, der in Surfers hätte endgültig ausgedrückt sein sollen, prangte rot glühend mitten in ihrem Gesicht. Sie saß in der Scheiße.
Im Bus diskutierte Miriam mit Julian, einem Programmierer aus Texas, wo Delfine ihren Hintern haben.
»Irgendwo zwischen Rücken- und Schwanzflosse«, vermutete Julian. »Was meinst du, Ralf?«
Ralf hatte keine Ahnung. »Vielleicht haben sie keinen.«
»Und wie erledigen sie dann, ähm, ihren Stoffwechsel?«
»Weiß ich auch nicht. Aber ich kenne jede Folge von Flipper , da war nie was zu sehen.«
Miriam lachte. »In Lassie haben sie auch nie gezeigt, wie sie eine Wurst macht. Aber Hunde haben einen Arsch, da kannst du drauf wetten.«
Ralf musste auch lachen. »Na ja, ich weiß, dass er irgendwo sein muss. Aber man sieht ihn halt nicht.«
»Also«, sagte Miriam, »die Beine des Delfins sind im Laufe der Evolution verschwunden - also hat er auch keinen Arsch. Die Darmöffnung dürfte ziemlich weit unten auf der Bauchseite liegen.«
Ralf überlegte, das Gleiche müsste dann auch für Meerjungfrauen gelten. Daran hat Helge bei seinem Gedicht sicher nicht gedacht.
Helge saß mit Pam und Robby am Pool. Den dreien ging es offenbar blendend, stellte Kristine fest, denn sie unterhielten sich laut, sehr laut. Sie hatte Sonnenbrille und Strohhut auf und setzte sich nach kurzer Begrüßung in den Schatten. Die Tabletten waren Gold wert, Kristine fühlte sich halbwegs wiederhergestellt. Sogar gefrühstückt hatte sie: zwei Vollkornkekse und eine Tasse schwarzen Kaffee.
Nach ein paar Minuten kam Helge und fragte, wie es ihr ginge.
»Besser. Danke für die Tabletten und deine Hilfe.«
Sie sagte es so kühl wie möglich.
»Bitte. Ich bin jederzeit für dich da.«
»Oh, das ist nett.« Was sollte sie auch sagen.
»Wenn du dich besser fühlst, könnten wir heute Abend essen gehen.«
»Ach, das geht leider nicht: Pam und ich fahren heute Abend weiter.«
»Prima, da komme ich mit. Mir gefällt’s hier sowieso nicht so gut.«
Kristine lächelte gezwungen.
»Schön. Aber hör mal, nur damit zwischen uns alles klar ist: Ich finde dich nett, nur - ich habe einen Freund in Deutschland.«
Helge grinste. »Und wer war der Typ, der gleich aggressiv wurde, nur weil ich dir das Gedicht vorgetragen habe?«
»Ein Bekannter.«
Helge kicherte. »Nicht vielleicht ein Cousin, den du zufällig getroffen hast?«
»Im Urlaub sieht mein Freund
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