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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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aussichtslos, als wollte man das Geräusch des Windes oder eines Wasserfalls festhalten.
    Damals gelang Pearl ein Durchbruch in ihrer Spielweise. Vielleicht lag es an der Herausforderung, unter solch extremen Bedingungen musizieren zu müssen, oder daran, dass immer wieder so viele neue, unbekannte Töne und Geräusche auf sie einströmten, jedenfalls entwickelte sie allmählich zwischen den einzelnen Shows ein ganz eigenständiges, persönliches Repertoire von melodischen Mustern. So entstand das eine oder andere für den Blues in B-Dur, wieder andere für den Blues in F-Dur, ein völlig anderes für Hindustan in D-Moll, und dieses Repertoire baute sie immer weiter aus wie ein Gerüst um ein Gebäude.
    Die tragbare Orgel von Charlie erwies sich dabei als große Hilfe, denn sie erleichterte ihr beim Improvisieren mit Akkordänderungen bei einem bestimmten Lied zu experimentieren. Allmählich begann sie zu verstehen, was James ihr an jenem Tag am Flügel des Konservatoriums in Sydney beibringen oder wenigstens zeigen wollte. Sie nahm sich eine beliebige musikalische Phrase aus einem Swingsong vor und modulierte oder variierte sie auf ganz verschiedene Weisen. Die Solos, die daraus entstanden, waren ihre eigene musikalische Schöpfung.
    Überall, wo sie hinkamen, erkundigten sie sich nach dem mysteriösen amerikanischen Neger, der mit einer australischen Einheit unterwegs war. Ein Mann behauptete, er hätte eine Gruppe Weißer mit einem einzigen Schwarzen gesehen, die eine Landebahn am Fuß des Mount Wilhelm frei rodeten, ein anderer habe ihn mit einer Patrouille Richtung Goroka marschieren sehen. Ein Dritter meinte, er sei weiter östlich im Hochland unter Granatenbeschuss geraten.
    Als sich die Kampflinie in Richtung Bismarck-Gebirge bewegte, zogen die drei hinterher, ihre Benny-Goodman-Medleys bildeten einen musikalischen Kontrast zu dem Wummern der Gewehre und Geschosse. Immer wieder blieb Pearl stehen und blickte in das Tal hinunter, das sie nun hinter sich gelassen hatten. Das rote Band des Flusses Ramu, der so viel vulkanischen Schlamm mit sich schwemmte, hob sich deutlich von dem Dunkelgrün des Dschungeldickichts ab.
    Den August über verstärkte sich das Dröhnen der Haubitzen und Granatwerfer. Die Alliierten drangen immer weiter in das Hochland vor und eroberten einen japanischen Posten nach dem anderen. Wenn nachts Leuchtspurmunition abgeschossen wurde, antworteten darauf manchmal Granaten, die in einem orangefarbenen Halo am Himmel explodierten. Bisweilen hielten die Japaner die Australier und Amerikaner mit endlosem Geschrei und Gekreische bis zum Morgengrauen vom Schlafen ab. Mehr als einmal konnte Pearl beobachten, wie ein Soldat unruhig erwachte, sein Gewehr schnappte und einfach losballerte. Dann legte er sich wieder hin und versuchte weiterzuschlafen.
    Inzwischen bewegten sie sich auf den Bergen in größeren Höhen – manchmal bis zu dreitausend Meter. Dass die Luft dünner wurde, merkte Pearl vor allem daran, dass sie tiefer und öfter einatmen musste, wenn sie Saxofon spielte. Wenn sie Zeit zum Ausruhen hatten, legte sie sich auf den Rücken und trainierte ihre Zwerchfellatmung. Sie übte Zirkularatmung, wodurch sie das Ausatmen beim Solo nicht so häufig unterbrechen musste. Von den Blättern und Zweigen tropfte es unablässig, auch wenn die Sonne schien. Nach wie vor hielten sie ihre Vorstellungen an Flussufern, in Schützengräben oder auch in den Pflanzgärten der Eingeborenendörfer ab.
    Der Welpe entwickelte sich zu einer wachsamen, anhänglichen Hündin, die stets bereit war, ihnen einen Gefallen zu tun. Inzwischen war sie so groß wie einer von Pearls Militärstiefeln. Sehr oft richtete sie die Ohren auf. Während der langen Monate, als sie im Südwinter von Berg zu Berg marschierten, brachte Pearl Pup bei, sich auf Kommando hinzusetzen, hinzulegen und sich überzurollen. Die Hundedressur war für die Musiker die einzige Abwechslung, während sie sich von einem Dorf zum nächsten Außenposten quälten. Es dauerte nicht lange, bis sie auch Totstellen beherrschte, zugeworfene Sachen während der Show auffangen oder auf den Hinterbeinen laufen konnte. Sie war ausgesprochen wachsam und knurrte und bellte jede kleine Maus an, die der Gruppe zu nahe kam.
    Seit Pup auf den Hinterbeinen laufen konnte, war es auch nicht mehr schwierig, ihr beizubringen, sich im Kreis zu drehen. Am Anfang brachte sie nur eine Drehung zustande, aber nach zwei Tagen und dank etlicher Zwieback als Belohnung schaffte

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