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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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steigen.
    Einer der Schützen braute etwas Kaffee, und ein anderer brachte den drei Kranken in der Hütte etwas von den frischen Lebensmittelvorräten, die Pearl, Charlie und Wanipe mitgebracht hatten.
    »Hätte nicht gedacht, dass ihr es schafft durchzukommen«, sagte er. »Die Japse waren in letzter Zeit alles andere als freundliche und friedliche Nachbarn. Vergangene Woche haben wir vier Mann verloren.«
    Charlie fragte ihn, wie lange er schon in diesem Gebiet ausharrte.
    Der Schütze zuckte mit den Schultern und meinte, sie seien vielleicht seit acht bis neun Wochen hier.
    »Hattet ihr in der Zeit mal Kontakt mit einem kleinen australischen Trupp«, erkundigte sich Pearl, »bei dem möglicherweise ein Neger dabei war?«
    »Wie? Einer von diesen Eingeborenen hier?«
    »Nein, ein amerikanischer Schwarzer.«
    »Ein Amerikaner als Träger?«
    »Nein, nein. Wir haben nur etwas von einem kleinen Trupp Aussies gehört mit einem amerikanischen Schützen, der ein Neger ist.«
    Der Soldat goss Kaffee in vier Blechtassen. »Warum sollten die Aussies denn einen von unsern Negern dabeihaben?«
    »Also mit anderen Worten, ihr habt nichts von diesem Trupp gehört«, stellte Charlie fest.
    Der Soldat rief seinem Kameraden in der Hütte zu: »He, Lance! Hast du irgendwas von ’nem Neger mitbekommen, der hier mit einem Aussie-Trupp unterwegs sein soll?«
    Lance lachte laut auf. »Bestimmt nicht. So ’ne gescheckte Truppe wär mir bestimmt aufgefallen.«
    Ohne sich weiter zu unterhalten, tranken alle ihren Kaffee. Pearl tat der Rücken weh von dem schweren Gepäck; im Gesicht hatte sie so starken Sonnenbrand, dass sich inzwischen die Haut zu schälen begann. Zuerst bemitleidete sie sich ein wenig selbst, aber dann, während der Show, sah sie die verschwitzten und verdreckten, ausgemergelten, gespensterhaften Gestalten der Männer aus der Hütte, die nur mit Mühe aufrecht sitzen konnten, um die Vorstellung zu sehen.
    Sie traten auf dem kleinen gerodeten Platz auf mehr als glitschigem Untergrund auf. Der Welpe lief ständig im Kreis herum, rollte sich übermütig im Dreck und bellte, sobald jemand klatschte. Charlie gab zum ersten Mal seine neue Nummer mit Mr Blue, der Bauchrednerpuppe, zum Besten. Das erwies sich als recht witzige, bisweilen etwas anzügliche Ergänzung des gesamten Auftritts. Mr Blue saß auf den Knien seines Herrn und gab Scherze über das Militär von sich.
    Mit Saxofon und Orgel spielten Pearl und Charlie gemeinsam einige Musikstücke, und als die Melodie von Stompin ’ at the Savoy durch diese Urwaldszenerie aus Bäumen und Lianen klang, war es für Pearl nach allem, was sie inzwischen durchgemacht hatte, eine große Belohnung zu sehen, wie beglückt diese todgeweihten Männer mit lächelnden Gesichtern ihrer Musik lauschten. Es wirkte offenbar wie ein Rausch. Bereits nach einer halben Stunde hatten sich zwei von ihrem Krankenlager erhoben, schwangen im Rhythmus der Musik und auf noch etwas unsicheren Beinen ihre Hüften und sangen den Liedtext lautlos mit. Und in Momenten wie diesen gelang es Pearl auch, ihre eigenen Grenzen zu übersteigen und zu den von den Soldaten gewünschten Lieblingsmelodien zu improvisieren, obwohl sie selbst halb am Verhungern und völlig erschöpft war. Dies könnte durchaus das letzte Mal sein, dass diese Männer Musik hören – auch daran musste sie denken. Beim letzten Stück, Satin Doll , begann Wanipe eher zufällig mit den Fingern auf den Schweinshautbongos zu trommeln, und Pearl war überrascht, wie leicht er in den Rhythmus fand. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er selbst merkte, wie er den richtigen Takt zur Melodie fand.
    Zufällig bemerkte Pearl aus den Augenwinkeln, wie in einiger Entfernung die dünnen Zweige und Blätter eines Ficus zitterten. Als sie genauer in die Schatten darunter spähte, konnte sie die Gesichter von zwei oder drei Männern erkennen, die sich an dem Baum versteckten. Sie hatten schräge Augen, dunkle Haut und trugen Helme. Von Panik ergriffen wollte sie sich bereits in den Schlamm werfen, doch dann bemerkte sie, dass die Männer keineswegs ihre Gewehre im Anschlag hielten; sie lagen vielmehr quer über ihren gekreuzten Beinen im Schoß, und sie beugten die Köpfe vor, um besser hören zu können. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass die feindlichen Soldaten ihre Musik nicht nur genauso gerne hörten, sondern dass ihnen Musik ein genauso großes Bedürfnis war wie den befreundeten amerikanischen Soldaten. Als sie ihnen zublinzelte,

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