Bis ans Ende des Horizonts
Drang, einen einzigen Mann inmitten der Hunderte von Quadratkilometern Dschungel von Neuguinea finden zu können. Früher war sie sich sicher, dass sie nur von Furchtlosigkeit und Liebe getrieben war, doch inzwischen beschlich sie der Verdacht, dass ihre Motive nicht mehr ganz so edel waren; Naivität vielleicht, vielleicht sogar Dummheit und Arroganz.
Sie kämpften sich auf einem Dschungelpfad zu einem Feldlazarett voran, als sie einem pygmäischen Wanderhändler über den Weg liefen. Er war allenfalls einen Meter zwanzig groß und trug einen u-förmigen Knochen in der Nase. Er verharrte hinter einem Baum und fuchtelte mit Pfeil und Bogen herum. Wanipe hob beide Hände und erklärte in primitivem Kauderwelsch, dass sie keine Feinde waren. Sie stellten die tragbare Orgel ab und spielten ein paar Töne. Der Händler wurde neugierig, ließ den Bogen sinken und kam langsam näher. Dann schlug er ebenfalls ein paar Töne an und lachte; Charlie spielte ihm noch etwas vor. Sie boten ihm etwas Tabak an, und als sie sich hinhockten, um gemeinsam zu rauchen, stellte Pearl ihre übliche Frage nach einem schwarzen Amerikaner, der mit einigen Australiern zusammen kämpfte. Die Augen des Pygmäen weiteten sich, er begann heftig zu nicken und deutete auf den Berggipfel. »Groß Schwarz«, sagte er. »Eins Schwarz. Groß. Groß.« Er hob die Hände in die Höhe.
»Hast du ihn selbst gesehen?«
Der Pygmäe zeigte auf die Wolken um den Berggipfel. »Ich sehe.« Er ahmte das Abfeuern eines Gewehres nach und wie eine ganz Gruppe von Japanern niedergemäht wurde.
»Kannst du uns zu ihm bringen?«, fragte Pearl und überlegte bereits, dass das kein allzu großer Umweg wäre. »Kannst du uns zeigen, wo er ist?«
Der Pygmäe blickte skeptisch drein.
Wanipe sagte etwas in einer anderen Sprache, und das Gespräch ging eine Weile hin und her. Der Pygmäe blies den Rauch aus der Nase und zuckte mit den Schultern und deutete auf den Beutel zu seinen Füßen, in dem sich Kinkerlitzchen und Muscheln befanden.
»Großer Weg. Zwei Tage«, erklärte Wanipe. »Er steigen für Rauch.« Und somit sicherten sie sich seinen Dienst als Führer für eine Handvoll Tabak und zwei Rasierklingen.
Obwohl sie müde und hungrig war, kletterte Pearl nun über Felsen, glitt durch den Matsch und hangelte sich an Lianen immer weiter nach oben Richtung Wolken. Die Luft wurde immer kühler, der Regenwald immer lichter. Sie quälten sich auf einem engen Pfad entlang, der sich über Felsvorsprünge, ebene Flächen und durch Bäche wand. Manchmal wurde ihr in dieser Höhe ein bisschen schwindlig. Als die Nacht hereinbrach, waren sie so hoch gestiegen, dass die Baumstämme mit Flechten bewachsen und der Boden mit Mulch bedeckt war. Geisterhafte Nebelschwaden senkten sic h von den Hängen, die manchmal so dicht waren, dass man kaum die Hand am ausgestreckten Arm erkennen konnte. Hier in diesem silbrigen Dampf schlugen sie unter einem Dach feuchter Zweige ihr Nachtlager auf. Die drei teilten sich ihr Büchsenfleisch mit dem Pygmäen. Um sich zu bedanken, zog er eine Pfeife aus Holz hervor, zündete sie an und reichte sie herum. Als Pearl daran zog, schmeckte es wie verbranntes Hanfseil, und ihre Muskeln wurden so schlaff, es fühlte sich so an, als würden sie sich ebenfalls in Nebel auflösen. Charlie begann zu kichern, und Wanipe schmetterte die Beer Barrel Polka , wobei er allerdings nur noch die Hälfte der Worte des Songs wusste. Das Letzte, woran Pearl sich erinnern konnte, war, dass sie ihren Kopf gegen den Tornister lehnte und das Gefühl hatte, aus ihrem eigenen Körper zu entschweben.
Als sie im Morgengrauen wieder erwachte, lagen Charlie und Wanipe ausgestreckt auf dem Boden und schliefen noch immer fest. Von dem Pygmäen war weit und breit nichts zu sehen, und auch nicht von Charlies Orgel.
20
Es war weiterhin dunstig und kühl, und das Geräusch fallender Wassertropfen war allgegenwärtig. Zu beiden Seiten des Pfades waren die Äste verschiedener Bäume so miteinander verwachsen, dass sie an manchen Stellen einen üppigen, grünen tropfnassen Tunnel bildeten. Die Chancen, irgendwo dort oben auf dem Berggipfel auf James zu stoßen, erschienen mittlerweile verschwindend gering, und die drei hatten inzwischen erhebliche Zweifel, ob der Pygmäe ihn überhaupt gesehen hatte. Aber da sie nun einmal so weit gegangen waren, beschlossen sie, ihren Weg über den Berg fortzusetzen und von dieser Seite zu dem Feldlazarett zu marschieren. Wanipe ärgerte sich
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