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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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sie flehentlich, doch er schüttelte den Kopf und stand auf.
    »Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft«, sagte er förmlich und schaute zu Boden. »Gottes Segen.« Daraufhin entfernte er sich durch die Diele und verließ das Haus.
    Pearl legte das Saxofon hin und rannte ihm nach.
    Auf dem halben Weg bis zur nächsten Straßeneinmündung hatte sie ihn eingeholt und klopfte ihm auf den Rücken. Er blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihr um.
    Die beiden funkelten einander an. Auf der Straße war weiter niemand unterwegs, nur ein paar Nachbarn waren draußen damit beschäftigt, Teerpappe an ihren Fenstern anzubringen.
    »Und nun?«, sagte sie.
    Er seufzte und ging weiter, machte ihr aber mit dem Kopf ein Zeichen, dass sie ihn begleiten sollte. Schweigend gingen sie die Victoria Street entlang. Sie merkte, dass er wütend war, aber sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte, darüber zu sprechen. Sie überquerten die William Street und blieben an einer Straßenbahnhaltestelle stehen.
    »Zum Teufel, was kümmert mich deine Mutter«, antwortete er endlich, »oder der verdammte Sonny Clay.«
    »Was ist es dann?«, fragte sie und zitterte im kalten Wind.
    James schloss die Augen, als hätte sie soeben eine sehr dämliche Frage gestellt.
    In diesem Augenblick ratterte die Straßenbahn um die Ecke und kam zum Stehen. James sprang auf das Trittbrett und verabschiedete sich von Pearl mit einem kleinen Salut. »Donnerstagvormittag, zehn Uhr«, bestimmte er. »Im Botanischen Garten, beim Rosenbeet.« Die Tram setzte sich rumpelnd hügelab in Bewegung. Über den Lärm hinweg rief er ihr noch zu: »Und bring dein Saxofon mit.«

5
    Pearl hatte gar nicht mitbekommen, wie spät es inzwischen geworden war, so sehr war sie damit beschäftigt, ihre Haare ausgiebig zurechtzumachen und in Locken zu drehen. Wegen James natürlich. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es bereits Viertel vor zehn war. Hastig schlüpfte sie in ihre Kleider und stellte fest, dass ihre Strümpfe alles andere als stramm saßen. Als sie ihre Notenmappe und ihre Handtasche an sich nahm, bemerkte sie einen Flecken klebrige Erdbeermarmelade auf einem der Goodman-Notenblätter, und zu guter Letzt musste sie noch nach dem Mundstück suchen, das sie erst entdeckte, als sie in einen ihrer schwarzen Wildlederschuhe schlüpfte.
    Als sie endlich, ihr neues Saxofon schleppend, den Weg zum Rosenbeet hinaufkeuchte, war es bereits fast halb elf. Pearl hatte ein schlechtes Gewissen und war inzwischen völl ig außer Atem. Aus ungefähr zwanzig Metern Entfernung sah sie James mit überkreuzten Beinen im Gras sitzen, die Knie mit den Armen umschlungen. Er hatte die Augen geschlossen und hielt den Kopf zurückgeneigt, um sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Bei Tageslicht wirkte sein Haar dunkler als sonst. Pearl blieb einen Augenblick lang stehen, um ihn anzuschauen und ein wenig durchzuatmen. Dann hatte sie eine drollige Eingebung und verschwand hinter einem Baum mit überhängenden Zweigen. Schnell öffnete sie den Instrumentenkasten und steckte das Saxofon zusammen. Hinter dem Baumstamm verborgen begann sie Between the Devil and the Deep Blue Sea zu spielen. Sie versuchte es auf die gleiche Art und Weise zu spielen wie er im Booker T. Washington Club, fand allerdings das Tempo am Anfang zu schnell. Auch beim zweiten Refrain wollte sie es noch halten, aber dann wurde sie ganz allmählich langsamer, bis sie schließlich bei einem mittleren Tempo angelangt war.
    Pearl beendete das Lied mit einem Tusch. Eigentlich hatte sie nun Applaus erwartet, einen anerkennenden Pfiff oder vielleicht sogar ein Lachen. Doch als sie hinter dem Baumstamm hervorspähte, entdeckte sie zu ihrer Überraschung, dass er verschwunden war; dort, wo er gesessen hatte, hockte jetzt eine Elster. Sie flog plötzlich auf, und einen verrückten Moment lang glaubte Pearl, ihr Solo hätte ihn in einen Vogel verwandelt, der nun für immer aus ihrem Leben davonflog. Sie blickte über die Rosenbeete bis zu den schmiedeeisernen Toren und dann noch einen anderen Weg entlang, der bis zum Hafenbecken führte. Er war wie vom Erdboden verschluckt.
    »Lektion Nummer eins«, donnerte plötzlich eine Stimme.
    Mit vor Schreck angehaltenem Atem schaute sie nach oben, wo er mit gespreizten Beinen auf einem der Äste des Baumes stand. »Du sollst niemals unpünktlich zu einer Unterrichtsstunde erscheinen.« Seine Miene wirkte im flirrenden Spiel von Licht und Schatten in den Blättern ziemlich verärgert.
    »Lektion

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