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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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und Lustspiele an. Seine Lieblingsfilme waren die Stummfilme mit Dick und Doof. Je heftiger die beiden aufeinander oder auf andere eindroschen, je schmerzvoller sie auf den Hintern fielen, desto lauter lachte James, bis es so aussah, als sei er selbst vom Schmerz vollkommen überwältigt.
    Nach und nach erfuhr sie weitere Einzelheiten über ihn und sein Leben in Amerika. Der Name seines Vaters war Floyd, ein weißer Kornettspieler und ein ausgesprochener Glücksspieler-Typ. Als James fünf Jahre alt war, hatte er James’ Mutter im Stich gelassen, die sich als Erntehelferin auf einer Farm durchschlagen musste, um für sich und den Jungen den Lebensunterhalt zu verdienen. Schon in der Grundschule hatte er auf Initiative eines Lehrers Tenorsaxofon gelernt. Für einen Jungen seines Alters war das allein vom Umfang und Gewicht her ein großes Instrument. Doch er war das einzige Kind in der Klasse, das groß genug war, um es halten und sogar spielen zu können. Inzwischen lebte er bei Tante Bee, der Schwester seiner Mutter. Einige Jahre lang übte und lernte er in der Blaskapelle seiner Schule, und sonntags spielte er in der Kapelle der Bogalusa First Baptist Church. Nachts stahl er sich oft klammheimlich aus seinem Zimmer und beteiligte sich an Jamsessions mit einigen älteren Bluesspielern, die sich in einer Kaschemme namens High Yella trafen. Das High Yella war nichts weiter als ein Bootsschuppen, der auf wackligen Pfählen in den Fluss hineinragte. Hier gab es geschmuggelten Maisschnaps zu trinken und Schweinsfußsülze zu essen. Nachdem das High Yella eines Tages von Weißen niedergebrannt worden war, verabschiedete sich James von seiner Tante und fuhr mit dem Schlagzeuger per Anhalter nach New Orleans. Dort fand er einen Job auf einem Flussdampfer. Neun Monate lang spielte er Abend für Abend, wenn der Dampfer den Flussabschnitt zwischen New Orleans und Memphis befuhr. Er konnte bereits vom Blatt spielen und kannte eine Menge Melodien auswendig. Ein älterer Klarinettist nahm sich ein bisschen seiner an, korrigierte geduldig seinen Ansatz und brachte ihm komplizierte Akkordfolgen bei. Mit fünfzehn fuhr er wiederum per Anhalter nach Kansas City, wo er sich wieder in den Clubs tummelte und Anschluss an eine der Bands gewinnen wollte. Hin und wieder kam er mit den Tempi nicht zurecht; die älteren, erfahrenen Spieler lachten ihn auf offener Bühne aus und nannten ihn »weißes Jüngelchen« oder »Gelbarsch«.
    Doch derartige Demütigungen feuerten James nur umso mehr an, sich zu verbessern. Er besorgte sich Aufnahmen von Lester Young und Chuck Berry und hörte sie sich wieder und wieder an, mehrere Stunden am Tag. In dem Zimmer, das er sich gemietet hatte, übte er jede Note, die aus dem Grammofon tönte. Er lungerte vor den Türen etlicher Clubs herum, um irgendwie mitzubekommen, wie jemand wie Buster Smith es fertigbrachte, doppelt so viele Noten innerhalb eines Taktes zu spielen als alle anderen.
    Gerade in jener Zeit spürte James eine Art inneren Zwang, das Äußerste aus seiner Zeit herauszuholen, als ob er die Geschwindigkeit seines Lebens verdoppeln müsste. Er trank schwarzen Kaffee mit Aufputschmitteln. Dadurch konnte er Tag und Nacht spielen, beinahe ohne zu schlafen. Wenn er frische, noch harte Rohrblätter benutzte, wurden seine Lippen rissig, ständig trommelte sein Herz wie wild, ein Gewittersturm in seiner Brust.
    So vergingen einige Monate. Als James zu den Jamsessions zurückkehrte, bei denen er noch vor einiger Zeit ausgelacht worden war, wirkte er viel magerer als früher und außerdem u m einiges älter, sogar älter, als er tatsächlich war. Aber er ve rfügte nun über eine brillante Technik und meisterte Akkordwechsel, wie es nicht einmal Buster Smith fertigbrachte. Eines Abends wurde der Klarinettist Benny Goodman in einem der Clubs auf ihn aufmerksam und lud ihn ein, sich ihm anzuschließen. James war zu diesem Zeitpunkt noch keine sechzehn Jahre alt.
    Beim Gedanken an all das, was er ihr von sich erzählt hatte, geriet Pearl ins Träumen, wie es wäre, gemeinsam mit James in einer Band zu spielen und die allerneuesten amerikanischen Jazzstile darzubieten. Sie stellte sich vor, dass sie Musikstücke schrieb, die die Zuhörer regelrecht in Ekstase versetzten, und wie sie sie anbettelten weiterzumachen. Sie hatte schon eine Vision, wie James und sie immer besser in Einklang kamen, wie sie sich an die Rhythmen der Landstraßen gewöhnten. Gewiss – da gab es ein Problem, den Krieg, aber sie

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