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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Nummer zwei: Wenn du schnell spielen willst, solltest du erst einmal lernen, langsam zu spielen. Wirklich sehr langsam. Übe es so, als wäre es eine Ballade.«
    Sie hielt die Hand über die Augen, um sie gegen die Sonnenstrahlen abzuschirmen. »Aber ich mag keine Balladen.«
    »Spiel die Melodie noch mal«, sagte er in bestimmendem Ton. »Und zwar in dem Tempo.« Dazu schnippte er mit den Fingern einen wirklich aufreizend langsamen Takt, der so langsam war, dass Pearl zwischen den einzelnen Schlägen das Tuten von Schiffssirenen und das Gezwitscher der Vögel hören konnte.
    Ihre erste Lektion bei James hatte sie reichlich verunsichert. Pearl hatte nicht erwartet, dass er so streng und anspruchsvoll sein würde. Er wirkte wie ausgetauscht in seiner Rolle als Lehrer und gab sich schroff und ungehalten. Immerhin hatten sie sich mit einem flüchtigen Kuss und einer Umarmung hinter dem Baum herzlich voneinander verabschiedet.
    Nachdem sie an diesem Abend ihren Auftritt im Trocadero beendet hatte, war Pearl mit James am Hintereingang des Booker T. Washington Club verabredet. Er schmuggelte sie durch die Küche im Untergeschoss hinein und führte sie eine Treppe zum Erdgeschoss hoch. Dann öffnete er die Tür zu einem Gelass, wo die Tischwäsche gemangelt wurde, und schaltete das Licht ein, indem er einen Seilzug betätigte. Sanft zog er Pearl zuerst ihr Wolljäckchen von den Schultern, anschließend öffnete er einen nach dem anderen die Perlmuttknöpfe ihrer Bluse und schob die Träger ihres BH s zur Seite. Er umfasste ihre Brüste und bedeckte sie mit Küssen. Sie atmete den charakteristischen Geruch von Stärke und Waschmitteln ein; alles in dieser Kammer war weiß, alles außer James. Zärtlich streichelte er ihr immer wieder über den Rücken, als ob sie dort eine Wunde hätte, dann ließ er die Hand zwischen ihren Rockbund und den Hüfthalter gleiten. Heute Abend trug sie kein Höschen, denn das Kneifen der Elastiksäume war ihr unangenehm. Mit der Zeit und mit spielerischen Vorstößen seiner Finger fand er Stellen, die sie innerlich erzittern ließen. Alles ging langsam und unendlich verführerisch vonstatten, ihre Beine wurden so schwach, dass sie fürchtete einzuknicken. Von ferne konnte sie das Gelächter von Männern vernehmen. Hin und wieder Schritte, die sich näherten. Kurze keuchende Atemstöße. Das war sie selbst. Daraufhin schwanden ihr beinahe die Sinne, und es durchzog sie wie eine aufbäumende Welle – so heftig, dass sie James in die Schulter biss, um nicht laut aufzuschreien.
    Tage später berichtete James ihr, dass der Abdruck ihrer Zähne noch immer auf seiner Schulter zu sehen war, als er im Camp Grenville zum Abladen von Lastautos und Reinigen der Büroräume eingeteilt war. Wenn er sich nachts auf seine billige Strohmatratze legte, wenn er von seinem weißen Sergeant angeschnauzt wurde, als er zum dritten Mal in diesem Monat zum Latrinendienst verdonnert war, wenn er wegen des ganzen Dienstes nur gelangweilt oder völlig frustriert war, brauchte er bloß die Hand auf diesen ovalen Abdruck zu legen und konnte wieder ihren salzigen Geschmack wachrufen. Doch es gab nicht nur Lust und Verlangen zwischen ihnen. Manchmal konnte James Ausgang bekommen, und dann nahmen sie die Straßenbahn zum Bondi Beach und picknickten dort. James hatte eine derartige Brandung noch nie gesehen und betrachtete die riesig aufgetürmten hereinrollenden Wellen sprachlos und mit weit aufgerissenen Augen. Ein derartig eindrucksvolles Naturschauspiel gab es weder in Louisiana am Golf von Mexiko und auch nicht am Rockaway Beach in Brooklyn. Pearl tat ihr Bestes, um ihn in die schäumende See zu locken und sich auf den Wellenkämmen zu tummeln. Sie wusste nie genau, ob er sich vor den Brechern fürchtete oder ob er sich wegen seines Körpers schämte, aber er brachte es in puncto Schwimmen nie weiter als bis zu den Knöcheln, wo das Wasser um seine nackten braunen Füße schwappte. Wenn sie alleine hinausschwamm, spielte er oft mit den Kindern am Strand, baute mit ihnen Sandburgen oder sie gruben Tunnel. Als sie einmal aus den Wellen zurückkehrte, hatte ihn eine Gruppe Kinder bis zum Hals in den Sand eingegraben und seinen Kopf mit einer Krone aus Seetang bedeckt. Die Kinder schüttelten sich vor Lachen, genauso wie er. Er lachte so hemmungslos, wie sie es nie zuvor bei ihm gesehen hatte, und sie hatte ihn auch noch nie so glücklich erlebt.
    Manchmal gingen sie gemeinsam ins Kino und schauten sich meistens Musikrevuen

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