Bis ans Ende des Horizonts
lang war, sein Kinn zu weit vor ragte und seine Augen zu weit auseinanderstanden.
»Gibt es irgendwas?« Auch die Aussprache hatte nichts von James’ Südstaatenakzent.
Sie ließ den Kopf hängen, denn es war ihr ein bisschen peinlich. »Ich hatte Sie mit jemandem verwechselt.«
»Ah ja?«, erwiderte der Wachsoldat. »Und wer soll das sein? Es gibt wirklich nicht viele Aussies, die herumrennen und nach Leuten wie unsereinem Ausschau halten.«
Pearl erklärte, dass sie weder das Regiment noch die Einheit kannte, in der der Gesuchte diente, sondern lediglich seinen Namen: James Washington.
Der Posten runzelte die Stirn. »Kenne ich nicht. Und warum suchen Sie ihn denn überhaupt?«
»Meine Zwillingsschwester hat sich daheim in Sydney mit ihm angefreundet. Sie scheint ihm nach wie vor heftig nachzutrauern.«
Der Wachsoldat ließ das Gewehr sinken und lehnte sich über die Brüstung. »Ich würd’s mal auf den Flugplätzen versuchen«, schlug er vor.
Pearl trat näher an ihn heran; sie erwartete, dass er noch mehr dazu sagte.
»Reden Sie mal mit den Piloten. Die fliegen die ganze Zeit in der Gegend rum. Die wissen am besten, was los ist.« Er zuckte die Achseln. »Ist natürlich nur so ’ne Idee. Ist wie die Nadel im Heuhaufen.«
Pearl bedankte sich mit einem kurzen Nicken und ging hinüber zu der großen Schutzhütte. Um sich einzuspielen, übte sie ein paar schnelle Läufe auf dem Saxofon. Nachdem sie wieder aufgehört hatte, merkte sie, dass sie zitterte – aus Furcht oder weil sie eine Vorausahnung hatte, konnte sie selbst nicht sagen. Charlie musste auch etwas bemerkt haben, denn er rief ihr »He, Willis« zu und bedeutete ihr, ihm nach draußen zu folgen. Zusammen gingen sie bis in das grüne Dickicht am Rande der Lichtung. Als er sich sicher war, dass sie nicht mehr gesehen werden konnten, zog er seine Feldflasche hervor, öffnete den Verschluss und genehmigte sich einen Schluck. Dann reichte er ihr den Flakon. Zuerst war sie ein wenig verwirrt, warum sie aus seiner Flasche trinken sollte, doch dann erkannte sie den markanten Whiskygeruch. Sie trank ebenfalls ein paar Schlucke, bevor Charlie ihr die Flasche vorsichtshalber wieder wegnahm.
Immer mehr Soldaten versammelten sich vor der Band. Einige wurden auch auf Bahren herbeigetragen. Pearl war zutiefst erschrocken, als sie etliche sah, denen die Beine fehlten. Andere kamen in rostigen Rollstühlen angefahren, die von Schwestern oder Pflegern geschoben wurden. Wohin sie auch blickte, sie sah fast nichts außer dicken Verbänden, eingegipsten Gliedmaßen, Armschlingen und Krücken. Jeder denkbare Körperteil schien verletzt, verwundet, gebrochen – außer ihren Augen, das fiel ihr auch auf. Alle richteten den Blick auf die Band, jeder Einzelne strahlte vor Vorfreude. Pearl war davon innerlich sehr angetan, überall dieser beinahe kindliche Gesichtsausdruck, trotz ihrer Leiden.
Als sie diese Männer anschaute, wurde ihr deutlich, wie geringfügig und unbedeutend ihre eigenen Probleme waren. Sie war gesund, alle ihre Glieder waren vollkommen intakt. Niemals war sie einer unmittelbaren Todesgefahr ausgesetzt gewesen, und schon gar nicht mehrmals, wie sicherlich die meisten dieser Männer hier. Ihr wurde klar, dass die verwundeten Soldaten gute Musik genauso dringend benötigten wie Morphium und Betäubungsmittel. Als sie zu spielen begann, als sie den Angaben auf den Notenblättern folgte, als sie die strahlenden Gesichter der Verwundeten betrachtete, spürte sie, dass hier etwas ganz anderes im Vordergrund stand, nämlich der Versuch, die Schmerzen dieser Männer zu lindern.
14
Nachdem ungefähr eine Woche in Port Moresby vergangen war, stand Sergeant Rudolph während des Mittagessens im provisorischen Speisesaal des Hotels auf und verkündete, dass der bekannte amerikanische Entertainer Bob Hope am nächsten Tag eintreffen sollte. Sein Auftritt gemeinsam mit der bekannten australischen Operettensängerin Gladys Moncrieff war in einer großen Lagerhalle am anderen Ende der Stadt geplant. In der Halle wurde bereits eine große Bühne errichtet, und das Musikkorps sollte die Stars begleiten.
Später lag Pearl in ihrer Hängematte und versuchte sich innerlich auf das bevorstehende Konzert vorzubereiten. Sie hatte eine Riesenangst davor, als Schwindlerin entlarvt zu werden, gleichzeitig fand sie aber die Vorstellung, mit so bekannten Künstlern gemeinsam auf der Bühne zu stehen, überaus verlockend und aufregend. Im Laufe dieser Woche hatten sie
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