Bis ans Ende des Horizonts
bereits ein Konzert auf dem Gemüsemarkt in einem der umliegenden Dörfer gegeben, eines unter den hochragenden, wie Pfeilerarkaden einer Kathedrale zusammenstehenden Palmen in einem vorgeschobenen Camp hoch oben im Gebirge sowie ein weiteres inmitten der Trümmer eines zerbombten Gemeindehauses. An allen diesen Orten war die Akustik miserabel gewesen, die Hitze erdrückend, und manchmal waren Pearls Finger derartig feucht, dass sie bisweilen von den Tasten abrutschten. Zudem hatte sie noch immer mit den Besonderheiten des Tenorsaxofons zu kämpfen. Doch bei jeder Vorstellung fand sie es ein bisschen leichter, ihre Lippen anzupassen und dem wie ein S geschwungenen Instrument seinen charakteristischen tiefen, fließenden Ton zu entlocken. Da sie inzwischen das gesamte Repertoire der Gruppe auswendig kannte, konnte sie sich auch mehr auf Atemtechnik, Tongebung und Soloimprovisationen konzentrieren.
An ihrem einzigen freien Vormittag in dieser Woche folgten Charlie und sie dem Rat des schwarzen Wachpostens und fuhren zum nächstgelegenen Flugplatz hinaus. Sie unterhielten sich mit dem Bodenpersonal, rauchten ein paar Zigaretten zusammen mit etlichen der Piloten und schlugen bei einer Gruppe schwarzer Soldaten, die für das Beladen mit Nachschub zuständig waren, einen kumpelhaften Ton an. Keiner hatte je etwas von einem Mann namens Washington gehört, der früher in den Staaten Saxofon gespielt hatte und hier nun als Mechaniker eingesetzt sein sollte – bis Pearl und Charlie einen Kopiloten namens Sol Leiderman kennenlernten, der ein ausgesprochener Jazzliebhaber war und der erzählte, er habe in der Tat vor dem Krieg einmal einen James Washington in einem Harlemer Club spielen hören. Seine Frau besaß sogar eine Schallplattenaufnahme von ihm zusammen mit Count Basie von 1939. Das war zwar nur eine vage Möglichkeit, aber für den Fall, dass er Leiderman bei einem seiner Einsätze doch über den Weg laufen sollte, schrieb Pearl ihm Martins Regimentsnummer auf, damit er sie ausfindig machen konnte.
Nun lag sie schwitzend in ihrer Hängematte; vom ständigen Sirren der Moskitos und von Moss’ Schnarchen bekam sie Kopfschmerzen. Je mehr sie sich Mühe gab, endlich einzuschlafen, desto unruhiger wurde sie, vor allem weil sie ständig und mit wechselnden Gefühlen an das große Konzert am folgenden Tag denken musste. Ihre Kehle war ganz ausgedörrt, außerdem spürte sie einen Schmerz in ihrem Unterleib. Zuerst dachte sie, das wäre vielleicht der Ausbruch einer der zahlreichen Krankheiten, mit denen man sich in dieser Gegend leicht anstecken konnte, Ruhr oder gar Malaria. Doch dann spürte sie etwas Feuchtes zwischen den Beinen und unterdrückte ein Stöhnen. Sie hatte ihre Periode.
Mit mehreren Lagen in die Unterhose gestopftem Toilettenpapier, das nicht gerade sanft an den Innenseiten ihrer Schenkel schabte, musste sie am nächsten Morgen zum Exerzieren antreten. Vor allem aber fürchtete sie, dass das Blut durch ihre Khaki-Uniformhose durchsickern könnte. Für den bevorstehenden langen Tag hatte sie bereits eine Extrarolle Toilettenpapier eingesteckt.
Rudolph und alle übrigen Mitglieder des Musikkorps wurden am Spätvormittag von drei US -Jeeps abgeholt. Durch die feuchtheiße Luft ging die Fahrt am Hafen entlang, wo der Geruch nach faulendem Seetang allgegenwärtig war.
Die Lagerhalle war ungefähr so groß wie sechs Tennisplätze. Drinnen wurden noch immer der Bühnenboden gezimmert und ein Vorhang aus Fallschirmseide zusammengenäht. Der Geruch von Sägespänen vermischte sich mit dem durchdringenden Gestank der Kerosinfässer, die bisher hier gelagert waren. Eine amerikanische Band, mit der sie gemeinsam auftreten sollten, hatte sich schon am hinteren Ende versammelt; sie stimmten bereits ihre Instrumente und spielten sich ein. Als sie unter Rudolphs Führung über den Betonfußboden dorthin gingen, erblickte Pearl einen schwarzen GI , der einen Lauf auf seinem Altsaxofon probte. Das klang so vertraut, dass ihr ein Schauder über den Rücken lief. Aus der Nähe hatte der Mann allerdings keine Ähnlichkeit mit James. Seine Haut war dunkler, und er hatte Aknenarben im Gesicht.
Der Leiter der amerikanischen Band, Käpt’n Simon Rowe, sollte die beiden Kapellen dirigieren. Gladys Moncrieff hatte bereits ihre Noten abliefern lassen, und Rowe verteilte sie nun unter den fünfundzwanzig Musikern.
»In Ordnung, Leute«, sagte Rowe, »wir haben keine Zeit, um alles proben zu können, aber das Ganze ist ziemlich
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