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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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untergebracht waren. Auf dem Kasernengelände fanden sie eine Wellblechhütte mit der Aufschrift »Office« in weißen Lettern über dem Eingang. Über einen Steg aus Holzplanken gingen sie dorthin. Die Tür stand offen. Drinnen fächelte ein Tischventilator einem bebrillten Gefreiten, der auf die Tasten einer Schreibmaschine einhämmerte, etwas frische Luft zu. Ein Papagei mit grünem und rotem Gefieder hockte auf einem Funkgerät dahinter und kaute an einem Stück Kreide.
    »Kann ich was für euch tun, Jungs?«, fragte der Gefreite, ohne dabei von dem Formular aufzusehen, das er gerade ausfüllte. Er sprach mit einem trägen Akzent aus dem Mittleren Westen.
    Pearl trat an den Tisch. »Ich bin auf der Suche nach jemandem.«
    »Name?«
    »Washington.«
    »Einheit?«
    »Ähm, da bin ich nicht sicher.«
    Der Gefreite schürzte die Lippen, betätigte den Rückstellhebel, um den Schlitten wieder an den Zeilenanfang zu schieben, und tippte weiter. »Welches Regiment?«
    Pearl blickte hilfesuchend auf Charlie, doch dieser zuckte nur die Schultern.
    »Er ist Mechaniker beim Labor Corps«, erklärte Pearl.
    Der Gefreite unterbrach seine Arbeit und schaute endlich auf. »Soll das heißen, ihr sucht einen Neger?«
    Pearl erklärte nun, dass er ein Jahr lang in Australien stationiert war und erst vor ein oder zwei Tagen in Neuguinea angekommen sein musste.
    Der Gefreite, der eine lange Nase und ein vorspringendes Kinn hatte, betrachtete sie mit zusammengezogenen Augenbrauen und drehte sich zu dem Papagei um, der noch immer mit seinem Kreidestück beschäftigt war. »Was meinst du, Petey, ob wir den finden werden?«
    Der Papagei blickte auf und krächzte.
    »Was soll das heißen, Petey? War das ein Ja oder ein Nein?«
    Der Vogel krächzte noch einmal, dann zweimal hintereinander, hob die Flügel und flatterte nervös auf dem Funkgerät hin und her.
    »Herrje, Jungs, das tut mir aber leid«, sagte der Gefreite grinsend, »ich glaube, das bedeutet nein.«
    Pearl seufzte auf und wollte wissen, welche Möglichkeiten es noch gäbe herauszufinden, wo ihr Freund steckte.
    Der amerikanische Gefreite zuckte die Schultern. »Petey und ich haben leider keine Zeit, für ein paar dahergelaufene Aussies einen dahergelaufenen Negerburschen ausfindig zu machen, vor allem, wenn sie noch nicht einmal wissen, zu welchem Regiment er gehört.«
    »Wir kennen seinen Namen. Und wir wissen, dass er Mechaniker beim Labor Corps ist.«
    »Ich muss Dienstpläne schreiben. Und ich muss Nachschub bestellen. Also jetzt haut ihr beiden endlich aus meinem Büro ab und lasst mich in Ruhe, sonst gebe ich euch einen Tritt in den Arsch.«
    Der Papagei ließ einen gellenden Schrei los und wiederholte: »Arsch! Arsch! Arsch!«
    Pearl und Charlie irrten entmutigt und ziellos durch die Straßen der Stadt. Es wurde immer heißer, und die Luft stank nach fauligem, öligem Matsch. Einheimische Männer hockten in kleinen Gruppen vor ausgebombten Häusern und ließen überdimensionale Zigaretten im Kreis herumgehen, die aus Zeitungspapier gerollt waren und nach verbranntem Hanfseil rochen.
    Auf Pearl lastete nicht nur die Hitze, sondern auch das Gewicht all dessen, was sie in der letzten Zeit alles auf sich genommen hatte; sie war erhebliche Risiken eingegangen, sie hatte die Gefühle etlicher Menschen verletzt – und es schien alles vergeblich gewesen zu sein. Bisher war es ihr gelungen, ihre wahre Identität vor allen anderen außer Charlie und inzwischen auch Blue zu verbergen, aber wie lange würde sie diesen Schwindel noch aufrechterhalten können, bis ihr jemand auf die Schliche kam? Am Straßenrand entdeckte sie eine dunkelhäutige junge Frau in einem weißen langen Hemd an einem Obststand. Dabei fiel ihr ein, dass heute der Tag ihrer Hochzeit sein sollte. Sie musste an Hector denken und daran, was sie ihm angetan hatte.
    Als sie nahe am Verdursten und reichlich enttäuscht in ihre Unterkunft in dem teilweise zerbombten Hotel zurückkehrten, fanden sie Blue fast nackt auf seinem Bett liegend. Er war gerade dabei, sich die feinen Härchen rund um seinen Bauchnabel auszuzupfen. Moss war zum Glück nicht da. Nachdem sie endlich etwas Wasser getrunken und die schweren Stiefel ausgezogen hatten, begann Charlie damit, Pearl beizubringen, wie ihr Gewehr funktionierte, wie man es lud und wie man damit zielte und schoss. Da sie nicht wie die anderen Musiker die sechswöchige Grundausbildung mitgemacht hatte, musste sie das dringend nachholen. Die schwere Waffe in der Hand zu

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