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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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über den Boden und konnte sehen, wie der Mann vom Bach hügelab auf die Lagerhallte zurannte. Sie wäre ihm gern gefolgt, doch sie traute sich nicht. Beim Abschwellen der Sirene hörte sie, wie jemand Befehle brüllte, dazu das abgehackte Feuern der Flak. Ein Flugzeug überflog sie so niedrig, dass sie den Luftzug der Propeller spürte. Sie drückte sich flach auf den Boden und ließ sich in eine Vertiefung rollen, wo sie mit dem Gesicht nach unten liegen blieb. Die Erde erzitterte, als eine dritte Granate weiter unten in der Nähe der Lagerhalle einschlug. Sie hörte Schreien und Jammern, und in der Luft lag beißender Qualm.
    Nach etwa fünf Minuten breitete sich Stille über dem Tal aus. Pearl hob vorsichtig den Kopf und schaute den Hügel hinunter. Zwischen Palmenstämmen hindurch sah sie, dass an einer Ecke der Lagerhalle ein Feuer ausgebrochen war. Die Soldaten bildeten bereits eine Kette zum Strand und reichten Wassereimer weiter, um den Brand zu löschen. Aus einem Krater im Boden stieg Rauch auf. Sie erhob sich aus ihrer Deckung und rannte den Hügel hinab. Wieder bellte jemand Befehle, Krankenwagen und Lastautos rasten heran. Zwei Amerikaner hievten den schlaffen Körper eines ihrer Kameraden in einen Jeep. Pearl ging an einem Graben hinter der Lagerhalle vorbei. Dabei bemerkte sie ein Paar Stiefel, die verkehrt herum herausragten. Anscheinend steckte ein Soldat mit dem Kopf voran in dem Graben, aber er rief weder um Hilfe, noch machte er ansonsten eine Bewegung. Pearl rief nach Farthing, dem Organisten, der gerade dabei war, Notenblätter einzusammeln, die überall auf der Erde verstreut herumlagen. Farthing packte das eine Fußgelenk des Soldaten, Pearl das andere, und auf drei gingen sie leicht in die Knie, zogen den Körper mit einem Ruck heraus und fassten schnell an Hose und Gürtel nach, damit er nicht wieder in die Furche hineinglitt. Als er aus dem Graben auftauchte, merkte Pearl bereits, dass der Körper schlaff wie eine Marionette war. Sie drehten ihn auf den Rücken. Der Mann war über und über wie mit Konfetti mit Schlamm und Blut bespritzt, doch Pearl erkannte ihn sofort. Es war Moss, der sie aus weit aufgerissenen, toten Augen ansah.
    Die Vorderfront der Lagerhalle war stark angesengt, unter dem Dach quoll noch Rauch hervor, und die wenigen Stühle waren zu Aschehäufchen verbrannt, aber nachdem die gröbsten Schäden beseitigt waren, kehrten die Soldaten in die Halle zurück. Einige setzten sich mit gesenkten Köpfen auf den Boden und warteten auf weitere Anweisungen. Zum Glück war die Bühne völlig intakt geblieben, und keines der Instrumente war beschädigt. Moss war in einem Krankenwagen abtransportiert worden, auch ein amerikanischer Posaunist war ums Leben gekommen. Die australischen Musiker standen beisammen und rauchten nervös Zigaretten. Über den Luftangriff wurde nicht viel gesprochen, auch nicht darüber, dass einer von ihnen sein Leben verloren hatte.
    »In Ordnung, Jungs«, verkündete Rowe, » the show must go on . Jetzt werden wir erst recht loslegen, bis das Dach von dieser Bude wackelt.«
    »Das dürfte nicht allzu schwierig sein«, bemerkte Charlie. »Inzwischen sitzt es ja schon ziemlich locker.«
    Als sich der Vorhang zum Klang von One O’Clock Jump endlich hob, brandete ihnen eine Welle der Begeisterung aus den verrußten Trümmern entgegen. Trotz der Musik konnte man hin und wieder Krankenwagensirenen in der Hafenbucht hören. Doch die Zuhörer begannen schon bald, sich mitgerissen auf die Knie zu schlagen und mit den Fingern im Takt zu schnippen. Pearl war nach dem Schrecken über die Granatdetonationen und wegen Moss’ Leichenfund kopfüber im Graben noch ganz benommen. Sie hatte nie zuvor einen Toten gesehen und war erstaunt, wie schwer er war. Noch während sie darüber nachdachte, bemerkte sie, wie Rowe mit dem Taktstock auf sie zeigte und damit winzige Kreise in die Luft malte, um sie daran zu erinnern, dass sie jetzt gleich mit ihrem Solo dran war. Auf Moss’ Notenständer entdeckte sie sein Altsaxofon. Ohne weiter nachzudenken, holte sie Martins Tenorsaxofon aus der Halterung um ihren Hals, streckte den Arm aus, schnappte sich Moss’ Instrument und hob es an die Lippen.
    Zum ersten Mal seit fast einem Jahr hielt sie wieder ein Altsaxofon in den Händen, an ihrem Mund. Sie hatte das Gefühl, endlich wieder einen Geliebten zu umarmen, von dem sie lange Zeit getrennt gewesen war. Nachdem sie nun schon einige Zeit nur mit dem größeren Instrument geübt

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