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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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nicht nahe genug an ihn heran.
    Am Kai angelangt versammelten sich die Musiker unter der Führung von Rudolph. Dann schulterten alle ihre Ausrüstung und stiegen auf bereitstehende Lastwagen. Als das erste Licht der Dämmerung über die Hügel kroch, konnte man ein paar undeutliche Eindrücke von der Stadt gewinnen: Trümmer zerstörter Gebäude, Hausfassaden, die mit Einschuss löchern übersät waren, zersplitterte Fensterscheiben, Markisen, die auf einen schmalen Gehweg heruntergefallen waren. Drei Kokospalmen waren auf ein Haus gefallen, dessen Dach teilweise eingedrückt war. Bei dem Anblick dieser ganzen Zerstörungen bekam Pearl eine Gänsehaut. Obwohl es noch sehr früh am Morgen war und auch regnete, waren bereits ein paar Einheimische unterwegs. Die Männer waren überwiegend schlank und trugen alle Bärte. Die Frauen waren in kittelartige Umhänge gekleidet; eine kleine Gruppe trug irgendwelche Bündel auf dem Kopf, möglicherweise Früchte oder Gemüse, und balancierte sie mit schleppenden Schritten durch die Gasse. Ein paar splitternackte Kleinkinder wieselten zwischen ihnen hin und her und jagten irgendein gefiedertes Tier mit einem langen Hals von der Größe eines kleinen Kängurus. Das Musikkorps kam an einer ganzen Reihe provisorischer Militärbaracken vorbei, die mit Palmenzweigen gedeckt waren. Vor einigen waren kleine Steingärten angelegt, wo sich manchmal Bougainvilleen emporrankten und ein Ficus stand. Einige Einheiten absolvierten bereits ihren Morgendrill; ihre abgehackten, marionettenhaften Bewegungen zeichneten sich scharf gegen den sich rosa färbenden Himmel. Aus den Augenwinkeln entdeckte Pearl eine Gruppe schwarzer Soldaten, die um eine wandlose Hütte marschierten, und ihr Herz fing heftig an zu schlagen. Sie rechnete schon halbwegs damit, James inmitten dieser Männer zu entdecken, doch ihr Lastwagen fuhr plötzlich um eine Ecke.
    Sie kamen vor einem zweistöckigen Gebäude nahe am Hafen zu stehen, einem ehemaligen Hotel mit zwei verwelkten Palmen davor. Am Eingangsbereich war fast die komplette Wand herausgerissen, und im anschließenden Foyer klaffte ein großes Loch im Boden wie ein Krater. Art Rudolph verkündete, dass das Hotel seit dem Frühjahr 1942 für amerikanische Soldaten requiriert war und dass sie hier einquartiert wurden, da die nahe gelegene Murray-Kaserne bereits völlig überfüllt war. Trotz ihrer sonstigen Befürchtungen war Pearl froh, dass sie ihre Unterkunft gerade mit amerikanischen GI s teilten. Vielleicht war sogar James unter ihnen oder sie konnte jemanden ausfindig machen, der wusste, wo er steckte.
    Pearl, Charlie und Blue wurde wieder ein gemeinsames Zimmer zugewiesen, das sie sich allerdings noch mit Moss teilen mussten, dem Altsaxofonspieler. Auf dem Schiff war er die ganze Zeit zum Latrinendienst verdonnert, weil er gegenüber Rudolph eine dicke Lippe riskiert hatte, und er war deswegen noch immer übel gelaunt.
    Blue betrat das Zimmer als Erster und stellte sich sofort vor den mit Bambus gerahmten Spiegel an der Wand, um eingehend die kahle Stelle auf seinem Kopf zu betrachten.
    »Na großartig«, lästerte Moss, »dass sie mich hier mit den ganzen Verrückten in ein Zimmer gesteckt haben«, und reklamierte im Übrigen die Schlafstelle unter dem Fenster für sich.
    Eine feuchte, beinahe schon modrige Dunstglocke hing inzwischen über dem Ort. Als Pearl und Charlie gemeinsam die Stadt erkundeten, war die Hitze erdrückend. Ihre schweißgetränkten Hemden klebten ihnen am Körper; Moskitos schwärmten ständig um sie herum. Von den Regenschauern am frühen Morgen waren die größtenteils unbefestigten Straßen glitschig geworden, und die schweren Lastwagen, mit denen ständig Mannschaften zwischen verschiedenen Lagern und Unterkünften hin und her gefahren wurden, hinterließen tiefe Reifenspuren im rötlichen Matsch. Einige wenige Militärkrankenschwestern in Khakihosen und Schlapphüten begleiteten Arm in Arm verwundete Soldaten, die entweder hinkten oder nur mit Krückstöcken gehen konnten. An jeder Straßenkreuzung standen amerikanische Militärpolizisten und dirigierten den Verkehr: Jeeps, Lastwagen, Esel, Fahrräder, Krankenwagen, sogar ein Pferdegespann tauchte gelegentlich auf. Pearl schaute sich jeden schwarzen GI genau an, aber sie blickte nur in fremde Gesichter, die sich abwendeten, als ob sie unansehnlich sei.
    Sie folgten der Straße zur Murray-Kaserne einen Hügel hinauf. Es war Charlies Idee, dort nach ihm zu suchen, wo die meisten GIs

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