Bis ans Ende des Horizonts
und gespielt hatte, kam es ihr kinderleicht vor, auf Moss’ Instrument zu spielen. Nun, da sie im Scheinwerferlicht stand, sang bereits die Luft in ihrer Lunge, und ihre Finger glitten mühelos über die Tasten. Sie spürte, wie ihr ganzes Inneres vom Adrenalin aufgepeitscht wurde und zwischen ihren Beinen ein beinahe sexueller Kitzel prickelte. Und diese ganze Gefühlsaufwallung entlud sich durch den Schallbecher in einer schnellen, aufregenden Folge von Tönen. Aus den Augenwinkeln konnte sie zu ihrem Erstaunen sehen, wie Bob Hope und Gladys Moncrieff, die zu ihrem Auftritt bereit waren und seitwärts an der Bühne standen, miteinander tanzten. Links von ihr, ganz vorne im Publikum, saßen die hohen Offiziere: der Oberste aller Truppenbetreuungseinheiten im Pazifik, Jim Davidson, sowie weitere australische und amerikanische Offiziere. Als sie das Solo mit einem absteigenden Riff, das James ihr beigebracht hatte, beendete, sprangen alle auf und applaudierten frenetisch, und die Einheimischen warfen ihr Blumen zu.
Nach dem Konzert kamen alle Offiziere auf die Bühne, um der Band zu gratulieren und sich mit den angereisten Stars fotografieren zu lassen. Pearl säuberte Moss’ Saxofon, bevor sie es in den Kasten packte.
»Das war fantastisch, Willis!«, dröhnte Rowe. Er hieb ihr auf die Schulter. »Mit dem Altsaxofon spielst du wirklich spitze. Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
Sie zuckte bloß mit den Achseln, ihr fehlten die Worte.
»Das Ding, das du am Ende von Cherokee gespielt hast, war wirklich der Hammer. Und deine Tongebung. Wie Honig. Klang ein bisschen wie bei Lester Young.«
»Danke, Sir.«
»Schade um den guten alten Moss. Aber du kennst ja das Sprichwort …«
Pearl nickte. »Nur die Besten sterben jung.«
»Nein – the show must go on . Ich will keinerlei Diskussion darüber, Willis. Von jetzt an spielst du nur noch das Altsaxofon, das ist ein Befehl.«
Und damit ging er auf dem kürzesten Weg hinüber zu Bob Hope, der an der Tür stand, mit den Musikern plauderte und Autogramme schrieb.
15
Vom Flugzeug aus wirkte die Meeresoberfläche glatt wie eine Fensterscheibe. Es war Pearls erster Flug, und sie stand Todesängste aus. Neben ihr saß Charlie mit über der Brust verschränkten Armen; die Hände hatte er unter die Achselhöhlen gesteckt, um sie warm zu halten. Blue saß völlig verkrampft da. Während des ganzen Fluges hielt er die Augen geschlossen und die Hände im Schoß zusammengeballt. Pearl betrachtete durch ein Fenster das Landschaftsbild auf dem Boden: Die verschiedenen gepflügten Felder bildeten ein abwechslungsreiches Muster, stellenweise waren sie von Bombenkratern übersät und von Schützengräben durchzogen. Dann legte sich das Flugzeug in eine Kurve von etwa fünfundvierzig Grad. Im Fensterausschnitt erschien nun eine gerade Reihe unterschiedlich hoher Berggipfel, was an die Knöchel einer Hand erinnerte. Im Flugzeug war es so kalt, dass ihr Atem vor dem Mund zu einem Nebel kondensierte. Wegen des geringeren Luftdrucks summte es in ihren Ohren.
Erst am Tag zuvor war ein Marschbefehl aus Sydney eingetroffen, mit dem die Einheit auf die Huon-Halbinsel an der Nordostküste Neuguineas beordert wurde. Der Sergeant hatte ihnen die Halbinsel nahe der Salomonen-Inselgruppe auf der Karte gezeigt. Die Alliierten hatten die Halbinsel erst wenige Wochen zuvor von den Japanern erobert. Die Verluste waren sehr hoch. Einzelne Außenposten auf vorgelagerten winzigen Inseln hatten seit anderthalb Jahren weder eine Zeitung zu Gesicht bekommen noch einen Ton Musik gehört.
Die Motoren des betagten Bombers husteten und spuckten, gelegentlich sackte er etwas ab und fing an zu rütteln. Aus der Luft konnte Pearl erkennen, dass das Küstengebiet rund um den Huon-Golf stark bombardiert worden war. Das grüne Waldgebiet war mit vielen kahlen, dunklen Flecken gesprenkelt. Die Tragflächen abgestürzter Flugzeuge ragten zwischen Palmen aus der Erde. Beim Landeanflug konnte sie auch viele umgestürzte Jeeps mitten im hohen Silberhaargras erkennen. Das Flugzeug kreiste kurz über einer Landebahn und setzte schließlich derart ruckartig auf, dass einige Instrumentenkästen durch die Kabine flogen.
Die Musiker sprangen durch eine Luke nach draußen in einen heißen Wind, der deutlich nach verdorbenem Fleisch roch. Einige amerikanische Soldaten begannen damit, die Fracht zu entladen.
»Was ist denn das für ein abscheulicher Gestank?«, fragte Pearl einen von ihnen.
Der Mann deutete mit
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