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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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wie sie ankamen, und um ein bisschen Abwechslung zu bieten. Rudolph spielte dann auch den Entertainer, machte ein paar Scherze, und Charlie Styles präsentierte eine musikalische Reminiszenz an das Bombardement der Stadt Darwin zwei Jahre zuvor. Einmal explodierte dabei eine echte Granate, und alle stürzten sich mit ihren Instrumenten in den nächstgelegenen Schützengraben.
    »Bühnentricks haben doch immer eine tolle Wirkung!«, rief ein Wachposten und feuerte lachend in die Luft.
    Oftmals erwiesen sich die Soldaten als überaus dankbar und überschütteten Pearl und die übrigen Bandmitglieder mit kleinen selbstgebastelten Geschenken wie aus Holz geschnitzten Kästchen oder Masken, Talismanen, die aus Muscheln gefeilt waren, oder Matten aus Palmblättern. Wenn sie nicht im Konzert zusammen spielten, gingen Pearl, Charlie und Blue den übrigen Mitgliedern der Band nach Möglichkeit aus dem Weg. Blue war in puncto Hygiene und Sauberkeit äußerst pingelig, und wenn er nicht an seinen Haaren zupfte, dann ölte und polierte er seine geliebte Posaune. Er meckerte immer an Pearl herum, wenn sie nach der Show ihr Saxofon nicht sorgfältig auswischte. Als ihr letztes Rohrblatt zerbrach, zeigte er ihr, wie man ein Stück Bambus zurechtschnitt und es in das Mundstück einspannte.
    Manchmal ging er auch zum Angeln, und wenn er etwas gefangen hatte, machte er ein Lagerfeuer, um seinen Fisch zu grillen, und aß ihn mit warmer Kokosmilch. Hin und wieder tat er sich auch mit einigen Einheimischen zusammen, um mit ihnen nach Schildkröteneiern – sie waren rund und hatten an der Oberfläche lauter kleine Einbuchtungen, ganz ähnlich wie Golfbälle – zu suchen, die sie dann verspeisten. Auf ihren Streifzügen zu dritt fanden sie gelegentlich auch einmal eine einsame Bucht. Wenn Pearl sich sicher war, dass sie wirklich unbeobachtet waren, zog sie sich auch nackt aus und schwamm mit Charlie und Blue in dem türkisfarbenen Wasser und tauchte zwischen all den tropischen Fischen. Obwohl es gelegentlich Luftalarm gab, kamen ihr diese Wochen wie eine einzige lange Ferienreise vor. Sie konnte nach Belieben mit verschiedenen Musikstilen experimentieren, und es gab weit und breit keine Clara und keinen Hector, die ihr Vorschriften machten, was sie zu tun und zu lassen habe.
    Ihr Boot tuckerte bei Niedrigwasser an der Küste der Huon-Halbinsel entlang. Es war Januar 1944. Als es auf den Hafen von Lae zulief, ragten an verschiedenen Stellen gesunkene Schiffsrümpfe über die Wasseroberfläche. Der Ort war erst wenige Monate zuvor von den Alliierten erobert worden, aber es war allgemein bekannt, dass sich in den umgebenden Bergen weiterhin versprengte japanische Einheiten hielten. Während sich das Schiff näherte, konnte man immer deutlicher erkennen, in welchem Zustand sich Lae befand: Gezackte Ruinen ausgebombter Gebäude ragten in den Himmel, viele Häuser waren einfach eingestürzt und Bäume umgestürzt, Jeeps lagen auf der Seite oder auf dem Dach. Die ganze Hafenbucht stank nach Abwasser und verfaulendem Gemüse. Auf den Kais waren streunende Hunde zu erkennen, die im Abfall wühlten und den Mond anbellten.
    Die Musiker bezogen Quartier in einer Kaserne, die auf einem Höhenzug oberhalb der Bucht lag. Geschlafen wurde in Doppelstockbetten aus Holz; deren Pfosten standen in Blechschalen, die mit Wasser gefüllt waren, um die Ameisen abzuhalten. Ab und zu konnte man von den Berghängen Gefechtsfeuer hören. In der zweiten Nacht heulte eine Sirene los. Alle stolperten aus ihren Betten und suchten Schutz in einem Schützengraben, wo sie aneinandergelehnt bis zur Morgendämmerung weiterdösten.
    Am dritten Tag überbrachte ein dünner Gefreiter mit auffallend großen Ohren Rudolph neue Marschbefehle aus Sydney. Sein aus elf Mann bestehendes Musikkorps sollte in der nächsten Zeit in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die eine Hälfte sollte in Lae bleiben, beim Ausladen von Nachschub und dem Wiederaufbau zerstörter Gebäude in der Stadt helfen; die andere sollte eine kleine Tournee durch das Landesinnere zu den Camps nahe der Front unternehmen, wo die Soldaten seit Monaten nur schlecht versorgt werden konnten und keinerlei Abwechslung genossen hatten. Es war klar, dass diese Unternehmung kein Spaziergang werden würde, sondern anstrengend und extrem gefährlich. In dem Befehl war ausdrücklich vorgesehen, dass die Minnesänger – wie sich ihre Truppe nannte – aus Sicherheitsgründen wie um der besseren Beweglichkeit willen lediglich aus

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