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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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einer Kopfbewegung auf die Bergketten nördlich des Flugplatzes.
    »Das kommt von den Leichen in den Bergen. Es sind einfach zu viele, um sie alle begraben zu können.«
    »Alliierte oder Japaner?«, wollte Charlie wissen.
    »Beides.«
    Anschließend wurden sie zu einer kleinen Kaserne in der Nähe der Landebahn gebracht. Nachdem sie ihr Gepäck in einem Gemeinschaftsschlafsaal verstaut hatten, beorderte Rudolph die ganze Mannschaft in den Speisesaal. Kaum waren sie dort angekommen, erschien ein Gefreiter aus der Schreibstube, der auffällig dünn war und große Ohren hatte. Er hatte einen unhandlichen großen Sack in der Hand, und alle stellten sich auf, um ihre Post in Empfang zu nehmen. Pearl war sehr überrascht, als ihr der Gefreite ein Päckchen aushändigte, das an Martin Willis adressiert war. Sie zerschnitt den Bindfaden, riss das Verpackungspapier auf, und dann kam eine quadratische Blechschachtel mit dem schon etwas verblichenen Bild eines hübschen Mädchens auf einer Schaukel, das in einen grünen Apfel biss, zum Vorschein, an die sich Pearl von zu Hause erinnerte. Die Blechbüchse enthielt vierundzwanzig von ihrer Mutter selbstgebackene Zimtplätzchen sowie einen an Martin adressierten langen Brief, in dem sie ihm all die unerfreulichen Nachrichten mitteilte und den sie mit blauer Tinte in ihrer zittrigen Handschrift verfasst hatte. Clara schrieb, dass Pearl »wirklich den Verstand verloren« haben müsse, als sie »bei Nacht und Nebel verschwunden« sei. Die Polizei habe »nicht die geringste Spur« von ihr finden können. Die Hochzeit musste natürlich abgesagt werden. Pearl aß fünf Plätzchen schnell hintereinander, während sie den Brief noch einmal durchlas. Hector sei »außer sich gewesen«. Eines Tages würde Pearl »bekommen, was sie verdient«. Außerdem gab es die üblichen Mitteilungen über häusliche Vorfälle: Mr Bones war in ein Altersheim gezogen; Großmutter Lulus Gebiss war längere Zeit unauffindbar, Clara hatte die örtlichen Mitglieder der Bürgerwehr zum Nachmittagstee eingeladen. Am Schluss kam der mahnende Wunsch, »auf sich aufzupassen«.
    Noch viel mehr wünschte sich Pearl jedoch, einen Brief von Martin zu erhalten, weil sie unbedingt wissen wollte, ob er in seinem Versteck bei Nora und Pookie auf der Farm sicher untergebracht war. Deshalb schrieb sie ihm sogleich eine kurze Nachricht und teilte ihm mit, dass mit ihr alles in Ordnung war. Sie berichtete in wenigen Worten, dass sie Bob Hope kennengelernt und mit ihm gemeinsam einen Bühnenauftritt gehabt hatte und er ihr sogar auf einem ihrer Notenblätter sein Autogramm gegeben hatte. Pearl bat ihn, ihr so schnell wie möglich zu antworten, und unterschrieb mit »Dein Bruder M.«.
    Während der folgenden Wochen konnte Pearl dem Ganzen sogar etwas Spaß abgewinnen. Ihre Identität wurde von niemandem angezweifelt, ihr musikalisches Können wurde auch nicht mehr in Frage gestellt, und sie durfte nun das Altsaxofon spielen.
    Von Finschhafen aus fuhr die Band mit einem Fährboot Richtung Lae, tingelte sozusagen von einem Militärcamp zum anderen. Instrumente und Ausrüstung wurden mit einem Militärlaster transportiert, der dann mit der Fähre zu einer neuen Insel gefahren wurde. Jedes Mal wurden sie von den Kindern der Einheimischen in Empfang genommen, die wie ein Schwarm aufgescheuchter Vögel übermütig um den Laster herumtanzten, wie Akrobaten auf den Händen gingen und Blumen und Obst streuten.
    Die vor Ort stationierten Truppen halfen, ein Stück Dschungel zu roden, um Platz für die mobile Bühne zu schaffen, die von der Ladefläche des Lasters ausgeklappt wurde. In der Zwischenzeit machten sich die Musiker ein wenig frisch, und danach begann die anderthalbstündige Vorstellung.
    Die vor Ort stationierten Soldaten ließen sich auf Kisten und Kästen, Benzin- und Blechkanistern oder irgendwelchen Gestellen nieder – alles Mögliche wurde herbeigeschafft, damit man nicht im Schlamm sitzen musste. Sie spendeten großzügig Applaus und verlangten lauthals nach ihren Lieblingsstücken. Wenn in der Dunkelheit gespielt wurde, wurden die Rücklichter des Lastwagens als Bühnenbeleuchtung eingesetzt. Einige der auf diesen Inseln stationierten Einheiten hatten seit zwei Jahren keinen Heimaturlaub mehr gehabt. Wenn die Vorstellung vorbei war, wurde die Band oft gebeten, das Ganze noch einmal zu wiederholen. In diesem Fall ließ Rudolph einige Arrangements spielen, die sich Pearl in ihrer Freizeit ausgedacht hatte, um zu sehen,

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