Bis auf die Haut
den Verkehr draußen, das Heulen eines Martinshorns. Und dann lacht er ganz leise: Als Nächstes würd ich gern eine Asiatin ausprobieren.
Ein Keulenschlag, dieser Moment. Du lächelst über seine Worte, ein unwillkürlicher Reflex, der dich auch immer überkommt, wenn du hörst, dass jemand gestorben ist. Aha, als Nächstes wird er also eine Asiatin ausprobieren – etwa so wie eine neue Praline aus der Schachtel? Du schließt die Augen: Bitte sag so etwas nicht, denkst du, bitte sei nicht wie alle anderen Männer. Nach allem, was ich dir beigebracht habe, müsstest du’s doch besser wissen. Nach diesen Worten verändert sich schlagartig dein Wissen über ihn.
Du ziehst deinen Fuß von seiner Brust zurück. Denn in diesem Moment öffnet sich dir ein ganz neuer Blickwinkel.
Dass er es von vornherein genau geplant hatte.
Wie er am besten seine Jungfräulichkeit loswürde.
Sein Ziel: Zunächst einmal würde er in einem Café die typische Vorort-Hausfrau suchen. Eine, die nicht schön oder arrogant oder selbstbewusst genug wäre, um ihm jemals das Leben schwer zu machen, vor der er nie Angst zu haben bräuchte, die sich leicht wieder abwimmeln ließe. Die nie mit jemandem darüber reden würde.
Und die niemals über ihn lachen würde. Aber dann ging es ihm tiefer unter die Haut, als er erwartet hatte, denn seine anspruchslose Hausfrau sollte doch leicht entbehrlich sein, so war es geplant.
Damit er sich dann den Frauen zuwenden könnte, die er wirklich haben wollte.
Gabriel beginnt dich zu küssen und du wehrst ihn ab, stößt ihn von dir weg, du sagst ihm, das sei dir jetzt zu intim, du sagst ihm nicht, dass es dir zu weh tut. Also eine, die allein im Café saß und nicht allzu schön war, weil Männer sich mit einer unvollkommenen, schwachen Frau natürlich ungezwungener fühlen, das ist weniger einschüchternd, klar. Er kann deine Augen nicht sehen, das Stechen beim Andrang der Tränen, die nicht versiegen werden, wenn du ihnen erst einmal zu fließen erlaubst, und diesen Triumph willst du ihm nicht gönnen.
Als du in den Lift steigst, hörst du: Warte, komm zurück, das war doch nur ein Witz. Aber du drehst dich nicht um, der Lift schließt sich, er hämmert an die Tür, hämmert gegen den Lift, damit er stehen bleibt.
Aber du bist schon fort.
Du fällst das Hotelgebäude hinunter, immer abwärts, abwärts, den Kopf an die Wandverkleidung aus Teppich gestützt, die Augen fest zugepresst, die Betäubung durch den Schock, wenn alles sich verlangsamt, sogar dein Herz.
122. Lektion Junge Weiber sollten es sich zur Regel machen,
jegliche Bitte um Leihgaben abzuschlagen
Traurigkeit, weiß wie Knochen, als du am frühen Morgen durch die müllübersäten, stinkenden Fiesta-Straßen gehst.
Er wird ein wunderbarer Liebhaber sein. Du warst eine gute Lehrerin, wie immer eben. Und du hast genauso viel gelernt, wie du ihm beigebracht hast. Das wird dir immer bleiben. Falls du es wagst, dein neues Wissen hervorzuholen.
Du wirst eifersüchtig sein wie eine Furie auf jede seiner künftigen Beziehungen. Es wird besser für dich sein, wenn du nie etwas davon erfährst.
Dein Verlangen nach ihm wird nie aufhören.
In deinem Hotelzimmer liegst du rücklings auf dem schmalen, durchhängenden Bett. So solltest du so spät in der Schwangerschaft nicht mehr liegen, da dabei eine Arterie abgedrückt wird, eine Hebamme hat dich davor gewarnt, aber in diesen frühen Morgenstunden ist es dir egal, dieses eine Mal musst du deinen Impulsen nachgeben. Du streckst dich aus und dein Baby dreht sich und tanzt in dir, seine Hände und Füße kneten dich durch wie Teig.
Du hättest nicht gedacht, dass dir diese Reise so wehtun würde. Du rollst dich auf die Seite. Du spürst, wie Gott dich in die Arme nimmt und dir ins Ohr flüstert, segle weiter, segle weiter, voran in die Zukunft.
Du nimmst den ersten Flug nach London.
123. Lektion Von der zusätzlichen Anstrengung, die ihm abverlangt wird, wird das Herz sowohl kräftiger als auch größer
Zu Hause.
Seltsam euphorisch öffnest du die Tür. Du wirfst deine Kleider von dir und schrubbst dich sauber und ergreifst Besitz vom gesamten Raum. So schreitest du denn endlich in die Einsamkeit. Du fühlst dich, als wäre dir ein Teil deines Körpers herausgerissen worden, ein Stück Fleisch aus deinem Fleisch. Aber du spürst auch neue Kraft, denn du bist endlich frei, nach so langer Zeit ist die große Last der Ungewissheit und der Schuldgefühle von dir abgefallen.
Doch dann kommt die
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