Bis auf die Haut
die Schulter eines anderen Mannes, eines Onkels oder Cousins vielleicht, er sieht dich nicht. Und dann erblickt er dich.
Er hört auf zu reden.
Langsam breitet sich Röte über sein Gesicht aus.
Ein ruhiges, langsames Nicken des Erkennens. Unerträglich in seiner Intimität, als wärt ihr beide die einzigen Menschen hier. Es sagt dir alles, was du wissen musst: Du wirst dich nicht sehr zu bemühen brauchen, er wird ja sagen.
Er dehnt diesen Moment zu lange aus, seine Begleiter schauen ihn an und versuchen, das Ziel seiner Aufmerksamkeit auszumachen.
Langsam, ganz langsam setzt du dich wieder hin.
Zitternd, feucht.
118. Lektion Kaufe niemals, was du nicht bezahlen kannst
Es folgen fünf weitere Kämpfe. Du könntest keinen einzigen mehr ertragen. Du wolltest etwas ganz anderes sehen, die Corrida deiner Träume: einen spannenden Wettkampf zwischen Mensch und Tier, die listenreiche Eleganz im Tanz des Matadors, die unbezwingbare Kraft des Stiers.
Warum bist du so enttäuscht?
Hast du vielleicht erwartet, dass sich dir die Geheimnisse der Männer und des Machismo, Gabriels Geheimnisse, erschließen? Die Stierkämpfer machen es sich viel zu einfach, darauf warst du nicht gefasst.
Was hat es mit der schockierenden Schwäche auf sich, die du in so gut wie jedem Mann bemerkst, den du näher kennst? Sie jammern wie kleine Jungs, wenn sie krank sind. Ihre Frauen müssen nach dem Weg fragen, ihnen Kleidung kaufen, Friseurtermine machen, weil ihnen solche Dinge zu unwichtig sind. Sie sind unfähig, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen, wenn sie eine Beziehung beenden wollen. Sind diese Schwächen, die du immer wieder siehst, typisch für die Männer von heute, oder gab es sie schon immer und die Frauen haben insgeheim schon immer darum gewusst?
Nicht der Wein oder die Könige, die Weiber besitzen die größte Kraft.
Eins weißt du, als Gabriel von der anderen Seite der Arena zu dir herüberstarrt: Er ist noch nicht darüber hinweg. Sonst wäre er nicht so erstarrt, so errötet. Er weiß nicht, dass du schwanger bist, er kann es nicht gesehen haben, weil du hinter den Männern in der Menge gestanden hast.
Plötzlich kommt es dir so unbesonnen und rücksichtslos vor, deinem Impuls, ihn noch ein einziges Mal haben zu wollen, nachzugeben. Männer haben bei ihren Ex-Geliebten nie solche Bedenken – warum fühlst du dich plötzlich so unwohl dabei? Du kannst deinem Charakter nicht entkommen, er verfolgt dich bis hierher, schnappt nach deinen Fersen und will dich nach Hause schicken.
Am besten brichst du sofort auf.
Er schaut zu dir herüber.
119. Lektion Es ist der Wunsch aller Menschen, und das zu Recht,
daß man ihnen Achtung entgegenbringe
Du drängst dich an deiner Bank entlang zum Gang, machst ihm mit dem Kopf ein Zeichen, dass du vor dem Eingang warten wirst. Er ist fast genauso schnell draußen wie du. Du lächelst: Wie sehr es ihn drängt, dich zu sehen.
Er wird rot, als er deinen Bauch erblickt, bleibt stehen. Du machst einen Schritt auf ihn zu, nimmst wortlos seine Hände in die deinen und beugst dich zögernd vor, um seine Wange zu streifen. Er weicht zurück wie ein Kind vor seiner Mutter, die in ihre Hand gespuckt hat, um es sauber zu wischen, er fasst dich nicht an. Wieder wandert sein Blick zu deinem Bauch.
Also das hab ich nicht erwartet.
Es ist nicht von dir, kann es gar nicht sein, lachst du verlegen.
Ich weiß, sagt er eine Spur zu schnell.
Er nimmt dich am Arm und zieht dich ohne dich anzusehen von der Arena fort, als schämte er sich, und du zitterst innerlich über seine Reaktion, dein Verlangen bekommt einen Dämpfer, du wirst unsicher und nervös wie beim ersten Date.
Auch Gabriel wirkt zerstreut, verändert. Seine Haare sind nicht mehr so tintenschwarz, wie du sie in Erinnerung hast, er sieht erschöpft aus. Er erscheint dir jetzt wie ein Mann, der so plötzlich, als wäre er durch eine Tür getreten, die Jugend hinter sich gelassen hat, sich aber noch nicht in den mittleren Jahren befindet – eine Zeit des Übergangs, jene Zeit der Ungewissheit, wenn die Mütter ihre Söhne nicht mehr fragen, wann sie sich denn ein nettes Mädchen suchen und eine Familie gründen wollen, sondern sich bei anderen zu erkundigen beginnen, was denn mit ihm nicht stimmt. Und als du mit ihm durchs Gewühl der staubigen, für die Fiesta geschmückten Straßen gehst, spürst du, dass sich etwas zwischen euch geschoben hat. Vielleicht eine neue Frau, vielleicht auch einfach seine persönliche Entwicklung,
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