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Bis auf die Knochen

Bis auf die Knochen

Titel: Bis auf die Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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Augenblick, den ich in den f ü nf Tagen erlebt hatte, seit ich Jess’ gesch ä ndete Leiche auf der Body Farm gefunden hatte.
    Ich beschloss, nicht ü ber die Interstate zur ü ck zu meiner H ü tte zu fahren. Stattdessen nahm ich, in der Hoffnung, eine andere Route w ü rde mich von den Gedanken an Jess ablenken, den Highway 27, der den Fluss einen knappen Kilometer flussabw ä rts des glas ü berdachten Aquariums ü berquerte. Es war Jahre her, seit ich den 27 das letzte Mal gefahren war. Der Highway war seither gr öß tenteils vierspurig ausgebaut worden, doch die umgebende Landschaft war praktisch unver ä ndert. Die Stra ß e verlief mehr oder weniger parallel zur Interstate 75 – beide f ü hrten von Chattanooga aus nach Nordosten –, doch w ä hrend die 75 durch den breitesten, flachsten Teil des Tennessee Valley f ü hrte, lag der 27 rund drei ß ig Kilometer westlich und f ü hrte am Fu ß des Waiden Ridge’, an der M ü ndung des Chickamauga Gulchs und am ö stlichen Steilhangs des Cumberland Plateaus entlang.
    Vierzig Minuten n ö rdlich von Chattanooga f ü hrte der Highway 27 an Dayton vorbei, und aus einer Laune heraus bog ich links ins Gewerbegebiet ab. Am n ö rdlichen Rand der aus vier Bl ö cken bestehenden Innenstadt stie ß ich zu meiner Linken auf ein elegantes altes Gerichtsgeb ä ude, drei backsteingemauerte Stockwerke mit einem Glockenturm, der sich weitere zwei Etagen ü ber dem Hauptgeb ä ude erhob. Es traf mich mit beinahe k ö rperlicher Wucht: Dies war das Geb ä ude, in dem William Jennings Bryan und Clarence Darrow John Scopes angeklagt hatten, den Biologielehrer, der 1925 verhaftet worden war, weil er die Evolution gelehrt hatte. Hatte ich unbewusst diesen Weg gew ä hlt, um an diesem historischen Ort vorbeizukommen, dem Ort einer Debatte, die heute genauso offen zu sein schien wie vor achtzig Jahren? Wahrscheinlich.
    Auf der Main Street gab es ausreichend Parkpl ä tze, und – unwiderlegbarer Beweis daf ü r, dass Dayton eine Kleinstadt war – keine Parkuhren. Ich fuhr auf einen Parkplatz direkt gegen ü ber dem Gericht und spazierte ü ber die schattige Stra ß e auf die Eingangst ü r zu. Links vom Eingang stand eine lebensgro ß e Bronzestatue auf einem Sockel; die Inschrift identifizierte sie als William Jennings Bryan, US-Senator und dreifacher Pr ä sidentschaftskandidat, der wegen seiner Affinit ä t zum gemeinen Volk seiner Zeit mit dem Spitznamen » The Great Commoner « bedacht worden war. Er war bereits ber ü hmt wegen seiner entsetzlichen Ä u ß erungen ü ber die nihilistischen Folgen der Evolution, als er von der Staatsanwaltschaft als prominenter Bef ü rworter angeworben wurde. Ich schaute mich nach einer zweiten Statue um; sicher gab es auch eine des Anwalts, der Scopes verteidigt hatte, Clarence Darrow. Darrow war, wie Bryan, als Titan betrachtet worden. F ü r seine Bewunderer war er » der gro ß e Verteidiger «, f ü r seine Kritiker » Anwalt der Verdammten «. Falls man Darrow eine Statue gewidmet hatte, war sie gut versteckt.
    W ä hrend ich noch ü ber das bildhauerische Ungleichgewicht nachdachte, trat ein ä lterer Herr aus dem Gericht, kam auf mich zu und sagte Hallo. » Wo ist Darrow? «, fragte ich. » Mir scheint doch, sie m ü ssten beide Rechtsverdreher hier drau ß en stehen haben.«
    » Sobald jemand das Geld aufbringt, stellen wir ihm bereitwillig eine Statue auf «, sagte der Mann. Es stellte sich heraus, dass er der ehrenamtliche Museumsdirektor des Scopes-Trial-Museums war, das im Keller des Gerichtsgeb ä udes lag. Das Gericht war soeben geschlossen worden, doch als er erfuhr, dass ich von au ß erhalb kam und nur auf der Durchreise war und dass ich gehofft hatte, einen Blick in den Gerichtssaal werfen zu k ö nnen, bot er mir liebensw ü rdigerweise an, mich umzusehen, nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch im Museum.
    Den Gerichtsaal zu betreten war wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. Der Raum nahm den ganzen ersten Stock des Geb ä udes ein; hohe Fenster s ä umten s ä mtliche W ä nde; die Deckenpaneele aus gestanztem Blech waren der perfekte Gegenpol zu dem abgenutzten Holzfu ß boden. Selbst die Sitze – alte Holzsitze, die ä hnlich wie in einem H ö rsaal am Boden festgeschraubt waren – waren original. Ich setzte mich auf einen Platz in der ersten Reihe und stellte mir vor, wie Darrow und Jennings aufeinander eindroschen und gegen die Philosophie des jeweils anderen w ü teten: Darrows grimmiger Glaube an den freien

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