Bis auf die Knochen
berichten, dass bei der Durchsuchung seiner Wohnung Hunderte von Kinderpornografiebildern gefunden worden waren – Fotos, Bilder auf CDs und auf der Festplatte seines Computers. Auf einigen davon waren nur nackte Kinder zu sehen, auf einigen andere Erwachsene mit Kindern, und auf einigen Willis selbst beim Geschlechtsverkehr mit Jungen. Ein routinierterer Journalist oder einer mit besseren Verbindungen h ä tte mit Sicherheit Wind von der Durchsuchung oder wenigstens von der Kriminalakte bekommen.
Das Ganze hinterlie ß bei mir sehr gemischte Gef ü hle. Ich wusste, dass es den Beamten unter Umst ä nden half, dass sie derzeit mehr Informationen besa ß en als die breite Ö ffentlichkeit. Doch es drehte mir den Magen um, dass der Kindersch ä nder Craig Willis hier als M ä rtyrer dargestellt wurde.
Ich ü berlegte auch, ob Jess einen Plan verfolgte, indem sie die Information so herausgab. War sie die ungenannte Quelle, der Willis’ » perverser Lebensstil « zuzuschreiben war? Das klang nicht nach der aufgeschlossenen Jess, die ich kannte, doch vielleicht hatte sie es absichtlich gesagt, um zu provozieren. Ich hatte den Verdacht, dass sie frustriert war, wie langsam die Ermittlungen in Chattanooga vorankamen. Hoffte sie, indem sie die Nachricht so formulierte, darauf, den Zorn von Schwulenrechtsaktivisten zu erregen, damit die den Druck auf die Polizei erh ö hten? Jess war eine kluge Frau und eine begabte Medical Examiner, also war ich mir sicher, dass sie sorgsam dar ü ber nachgedacht hatte, was sie sagte. Aber sie war auch furchtlos und ein wenig einzelg ä ngerisch, und ich hoffte, dass sie sich nicht weiter aus dem Fenster gelehnt hatte, als gut f ü r sie war.
21
Der Kopf hatte inzwischen drei Tage lang unten im Annex gekocht, bevor ich ihn aus dem Mazerationskessel nahm. Das hei ß e Wasser, die Bleiche, Biz Waschmittel, Downy und Adolph’s Fleischzartmacher hatten gute Arbeit geleistet: Die verbliebenen Gewebereste lie ß en sich leicht mit einer Zahnb ü rste abschrubben, der Knochen war auf ein tiefes Elfenbeinwei ß gebleicht, und das Aroma, das er verstr ö mte, erinnerte an frisch gewaschene W ä sche. Nun, frisch gewaschene W ä sche, die eine ganze Weile lang sehr dreckig gewesen war, bevor sie in die Waschmaschine kam. Frische W ä sche, die noch ein oder zwei Waschg ä nge vertragen konnte. Trotzdem war der Unterschied dramatisch und das Ergebnis recht ansehnlich. Ich konnte diesen Sch ä del mit in die Stadium Hall nehmen, ohne jemandes Sinn f ü r Anstand oder seinen Geruchssinn zu beleidigen.
Ich legte den Sch ä del und das Sch ä deldach zum Trocknen auf einige Papierhandt ü cher, ö ffnete das Ventil, um den Kessel zu leeren, und fischte einige kleine Knochensplitter aus dem Sieb am Boden. Die Splitter tat ich in einen kleinen Zipplock-Beutel und packte dann alles in einen Pappkarton, den ich mit weiteren Papierhandt ü chern auspolsterte.
Jess hatte angerufen, sie war auf dem Weg nach Knoxville. Im K ü hlraum des Krankenhauses warteten zwei Obduktionen auf sie, doch bevor sie sich darum k ü mmerte, wollte sie sehen, welche Informationen ü ber die Mordwaffe ich dem Sch ä del entnehmen konnte, jetzt wo er vom weichen K ö rpergewebe gereinigt war. » Fleisch vergisst, aber Knochen erinnern sich «, hatte sie gesagt, bevor sie auflegte. Ein Mantra von mir, das ich offensichtlich so oft hergebetet hatte, dass sie sich daran erinnerte. Ihre Stimme war fast wieder so energisch wie gewohnt; entweder gab sie sich alle M ü he, wieder fr ö hlich zu klingen, oder es war ihr gelungen, ein wenig Ruhe zu bekommen, seit sie im Leichenschauhaus im B ü ro des Medical Examiners so abgespannt gewirkt hatte. Ich rief meine Sekret ä rin Peggy an und bat sie, Jess, wenn sie kam, in mein B ü ro zu bringen, das am hinteren Ende des Stadions lag, weit weg von den B ü ros der Verwaltung.
Ich ging die einspurige Rampe vom Annex unten in der N ä he des Neyland Drive zu der Zufahrtsstra ß e hinauf, die komplett um die Basis des Stadions herumlief, und schl ä ngelte mich zwischen den schweren Tr ä gern hindurch. Den Karton hielt ich wie ein kostbares Geschenk. Auf gewisse Weise war er das auch: Vielleicht war er der Schl ü ssel dazu, wie Craig Willis umgekommen war, und vielleicht sogar dazu, wer es getan hatte.
Ich schloss die B ü rot ü r auf und stellte den Karton auf meinen Schreibtisch, dann schaltete ich die Lampe ein. Ich nahm den Deckel ab, griff mit beiden H ä nden hinein, holte den
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