Bis auf die Knochen
einem Schl ü ssel, mitten in der T ü r, direkt unter der Glasscheibe. Art drehte forsch daran, und sie reagierte mit einer rasselnden Salve. Ich zuckte zusammen, und Art l ä chelte. » Tut mir leid, ich glaube, ich habe mich hinrei ß en lassen «, sagte er. » Auch die werden heute nicht mehr hergestellt.«
Von drinnen h ö rten wir das ferne Klappern harter Schuhsohlen auf Hartholzb ö den. Sie kamen n ä her, blieben stehen, und eine manik ü rte Hand zog den Spitzenvorhang zur Seite. Eine Frau, etwa Mitte drei ß ig, linste zu uns heraus. Ihre Miene war zwischen neutral und ein wenig vorsichtig – in etwa das, was man auf dem Gesicht einer Frau erwartete, auf deren Veranda zwei Fremde standen. Dann sah ich in ihren Augen, dass ihr etwas d ä mmerte, und ihr Gesicht war nur noch Panik und Verzweiflung. Sie riss die T ü r auf und legte sich eine zitternde Hand vor den Mund. » O Gott «, fl ü sterte sie, » was ist jetzt passiert? « Ich empfand tiefes Mitleid mit ihr, und pl ö tzlich begriff ich die ganze Bedeutung dessen, was Art am Telefon gesagt hatte: Manche Wunden heilten nie; manche Geister qu ä lten einen f ü r immer.
» Es ist alles in Ordnung, Mrs. Scott «, sagte Art rasch.
» Es ist nichts passiert, ich schw ö re es Ihnen. Wir haben nur einige Informationen, von denen wir dachten, dass Sie froh w ä ren, sie von uns zu erfahren.« Sie schaute von Art zu mir und zur ü ck. » K ö nnen wir reinkommen? «
Sie sch ü ttelte kurz den Kopf, als wollte sie einen b ö sen Traum absch ü tteln. » Ja. Nat ü rlich. Verzeihen Sie.«
Wir traten in eine hohe Halle. Rechts f ü hrte eine breite Eichentreppe auf einen ausladenden Treppenabsatz auf halbem Weg in den ersten Stock, dann bog sie nach links ab und kam bei etwas heraus, was aussah wie eine Sitzgruppe. Auf der linken Seite der Halle ö ffnete sich ein breiter s ä ulengest ü tzter Bogengang in einen Salon, der aus den 1890er Jahren her ü bergerettet worden war. Anders als das halb renovierte Ä u ß ere des Hauses war das Innere – zumindest der kleine Teil, den ich bislang gesehen hatte – vollst ä ndig restauriert. Die Frau wies Art und mich zu einem samtbezogenen Sofa, dessen R ü ckenlehne aus drei in Walnussholz gefassten Ovalen bestand. Sie nahm einen Ohrensessel, doch statt sich richtig hineinzusetzen, hockte sie sich angespannt auf die Vorderkante.
Art stellte uns beide vor. Sie nickte, als er meine Arbeit als forensischer Anthropologe erkl ä rte, und sagte: » Ich habe ü ber Sie gelesen. Ihre Arbeit klingt interessant und sehr wichtig.« In ihren Augen und in ihrer Stimme lag dabei die Andeutung einer Frage.
Ich sah Art an, und er nickte fast unmerklich: Erlaubnis, das Wort zu ergreifen. » Vor zwei Wochen wurde in Chattanooga ein Mann ermordet «, sagte ich. » Die Leiche selbst trug nichts bei sich, anhand dessen wir sie h ä tten identifizieren k ö nnen. Die Beh ö rden dort unten haben mich um Mithilfe gebeten bei der Frage, wer er war und wann er get ö tet wurde.« Mrs. Scotts Augen huschten hin und her, als suchte sie das Universum nach M ö glichkeiten ab, wohin dies wohl f ü hren k ö nnte.
» Madam, Dr. Brockton und ich haben die Leiche dieses Mannes soeben identifiziert «, sagte Art. » Es war Craig Willis.« Sie schnappte nach Luft, und diesmal flogen beide H ä nde an den Mund. Die Augen waren weit aufgerissen, und ich h ä tte fast schw ö ren k ö nnen, dass elektrische Spannung in ihnen knisterte. Ihre H ä nde begannen zu zittern, und das Zittern wanderte die Arme hinauf in die Schultern und von dort in Gesicht und Brust. Sie lie ß den Kopf in die H ä nde sinken und begann zu schluchzen – zuerst lautlos, dann mit einer Art rauem Keuchen, das von einem hohen, anhaltenden Wimmern abgel ö st wurde, das mehr tierisch war als menschlich. Mir fiel eine Formulierung aus einem Film ein – » so h ö rt sich furchtbarstes Leiden an « –, und ich wusste, dass ich im Augenblick genau das h ö rte. Hilflos schaute ich zu Art hin ü ber, dann mimte ich eine Frage – Soll einer von uns zu ihr gehen? –, doch er sch ü ttelte andeutungsweise den Kopf und bedeutete mir, sitzen zu bleiben.
Ein paar Mal bebte sie noch zitternd nach, dann beruhigte sie sich wieder und starrte d ü ster zwischen den Fingern durch. Als sie Art anschaute, griff er in seine Jackentasche, holte ein sauberes Taschentuch heraus und reichte es ihr. Sie wischte sich die Augen, die Wangen und ihre tropfende Nase und schn ä uzte dann
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