Bis auf die Knochen
Sch ä del heraus und setzte ihn auf ein ringf ö rmiges Kissen, wie sie in den Seminarr ä umen und Laboren des Anthropologischen Instituts zu Dutzenden herumlagen. Dann schwenkte ich die Lampe mit dem Vergr öß erungsglas herum, um ihn mir genauer anzusehen. Basierend auf einem ersten fl ü chtigen Blick im Annex hatte ich eine Theorie entwickelt, und auf der Fensterbank neben mir war das Objekt, von dem ich hoffte, dass es meine Theorie best ä tigen konnte.
Gerade als ich in den Karton griff, um das Sch ä deldach herauszuholen, klopfte Jess Carter an den T ü rrahmen und kam herein. » Perfektes Timing «, sagte ich. » Ich bin gerade fertig. Willst du mal einen Blick darauf werfen? «
Statt einer Antwort trat sie an den Tisch und beugte sich dar ü ber. Sie nahm den Sch ä del, drehte ihn hierhin und dorthin, lie ß das kreisrunde Neonlicht aus allen m ö glichen Winkeln auf die Konturen fallen. Ich stand schweigend hinter ihr, lie ß ihr Zeit, ihre eigenen Beobachtungen zu machen, ihre eigenen Ideen und Fragen zu formulieren. Ihr Blick fuhr rasch ü ber den Sch ä del, um sich dann genauer auf die Br ü che und Einkerbungen zu konzentrieren, die ich ebenfalls entdeckt hatte. Ich hatte Jess schon fr ü her bei der Arbeit beobachtet; und wie immer erinnerte es mich daran, warum sie eine der besten Medical Examiner war, mit denen ich je gearbeitet hatte. Jess legte den Sch ä del wieder auf das Kissen und unterzog das Sch ä deldach derselben gr ü ndlichen Untersuchung, w ä hrend sie es unter dem Licht drehte und wendete. Schlie ß lich war sie fertig, legte es weg und sah mich an. » Erstaunlich «, sagte sie. » Mit dem ganzen aufgeweichten, zerquetschten Weichgewebe sah der Knochen aus wie ein gro ß er, breiiger Mischmasch. Jetzt ist es ganz einfach, einzelne charakteristische Spuren zu erkennen, die von mehreren Schl ä gen stammen.« Sie nahm noch einmal den Sch ä del zur Hand. » Sieht fast so aus, als h ä tte der M ö rder drei verschiedene Waffen benutzt «, sagte sie und zeigte auf eine Einkerbung am linken Scheitelbein, der Seite des Sch ä dels. » Hier «, sagte sie, » diese Einkerbung stammt von einem knapp vier Zentimeter breiten Objekt, vielleicht auch ein wenig mehr, mit flacher Oberfl ä che und parallelen R ä ndern.« Ich nickte einfach; sie stellte noch keine Fragen, also lie ß ich sie weiter laut denken. » Hier am Os frontale ist mitten auf der Stirn eine tiefe dreieckige Kerbe.« Wieder nickte ich. » Und die Augenh ö hle sieht aus, als w ä re sie von etwas Breitem und Flachem eingeschlagen worden, acht bis zehn Zentimeter breit.« Der Sch ä del wies auch noch andere Einkerbungen auf, doch sie hatte auf die drei deutlichsten hingewiesen, und die anderen wichen nicht von den Mustern ab, die ihr aufgefallen waren. » Aber das ergibt irgendwie keinen Sinn «, sagte sie. » Warum sollte jemand einen Schlag mit einer Waffe ausf ü hren, sie weglegen, mit einer anderen Waffe einen zweiten Schlag ausf ü hren und diese dann gegen eine dritte eintauschen? «
Ich l ä chelte. » Genau die Fragen habe ich mir auch gestellt «, sagte ich. » Dann habe ich erkannt, dass es nicht unbedingt drei verschiedene Waffen waren; es kann auch eine Waffe gewesen sein, die mit drei verschiedenen Seiten aufgeschlagen ist.« Sie wirkte verdutzt, also holte ich schwungvoll mein Anschauungsmaterial von der Fensterbank, ein ganz gew ö hnliches St ü ck Kantholz im Standardma ß f ü nf mal zehn Zentimeter. Zuerst legte ich die 5-Zentimeter-Kante in die schmalere Einkerbung, die ihr zuerst aufgefallen war. Sie passte perfekt in die breite Furche, und ihre R ä nder passten exakt in die parallelen Linien der Wunde. Dann hielt ich die zehn Zentimeter breite Seite an den eingeschlagenen Rand der Augenh ö hle. Obwohl unz ä hlige kleine Knochensplitter abgesprungen waren, passte es auch hier perfekt. Damit blieb nur noch die tiefe dreieckige Kerbe im Stirnbein. Ich sah, dass Jess darauf starrte und angestrengt nachdachte. Ich dr ü ckte eine Kante des Kantholzes in die Kerbe, und sie lachte erfreut. » Verflixt «, sagte sie, nahm das Kantholz in die rechte Hand und hob den Sch ä del mit der linken hoch. » Vor langer Zeit, als ich den Zulassungstest zum Studium gemacht habe? Das Einzige, was zwischen mir und den vollen achthundert Punkten im Mathetest stand, waren diese verdammten r ä umlichen geometrischen Figuren. Manches ä ndert sich einfach nie.«
In dem Augenblick klingelte das Telefon. » Hallo,
Weitere Kostenlose Bücher