Bis bald, Sharma!
riss Sharma in letzter Sekunde die Tasche an sich. Sofort verschwand der Mann. Ich zitterte am ganzen Körper. An Schlafen dachten wir jetzt nicht mehr. Wir rafften uns auf und schleppten uns in Richtung Bahnhof. Um vier Uhr wurde er geöffnet. Sharma und ich mussten lachen. Vor der Eingangstür zur Bahnhofshalle warteten schon jede Menge Penner, Alkoholiker, Drogensüchtige und Huren, um ein Schlafplätzchen in der beheizten Halle zu ergattern. Und wir mittendrin! Wir fanden eine freie Bank und versuchten, die restlichen vier Stunden zu schlafen und diesmal bewachte Sharma meinen Schlaf. An Schlaf war aber nicht mehr zu denken, denn in aller Frühe, eigentlich mitten in der Nacht, brachen irgendwelche Arbeiter mit Presslufthämmern den Boden der Bahnhofshalle auf. Dann kamen wieder diese Aufpasser, weckten alle Penner und verlangten die Fahrkarten. Nur wer eine gültige Karte hatte, durfte in der Halle bleiben. Gott sei Dank hatten wir eine für die Rückfahrt. Aber nicht genug! Ein Aufpasser kam zu mir und sagte: „Füße runter von der Bank!“ Sitzend lehnten wir unsere Köpfe aneinander und versuchten, uns die letzten Stunden, bis wir zum Ministerium gehen konnten, noch etwas auszuruhen.
Sieben Uhr früh - Hektik machte sich jetzt in der Halle breit und Passanten hetzten hin und her. Erste Züge wurden durch die Lautsprecher angekündigt. Sharma und ich rafften uns auf und versuchten, uns in der Bahnhofstoilette ein bisschen frisch zu machen. Als ich in den Spiegel schaute, traf mich fast der Schlag. Mein Gesicht war geschwollen und total verschlafen und meine Augen waren glutrot, so als ob ich eine Woche durchgesoffen hätte. Sharma sah auch nicht viel besser aus. Wir stopften zwei fettige Croissants in uns hinein und spülten sie mit Leitungswasser hinunter. Das Einzige, was ich jetzt brauchte, war frische Luft, denn in dieser Wiener Bahnhofshalle war alles verqualmt vom Zigarettenrauch und ich sog die frische Luft auf dem Weg zur U-Bahn tief in mich hinein.
Total müde torkelten wir zum Innenministerium und leg ten Sharmas Papiere vor. Der Beamte hinter dem Panzerglas-Fenster schaute uns über seinen Brillenrand hinweg streng aber liebevoll an und betonte: „Diese Geburtsurkunde ist nicht zulässig, ich brauche eine direkt aus Indien mit allen Stempeln.“ Er reichte uns die von der indischen Botschaft ausgestellte Geburtsurkunde wieder zurück und wollte schon den Nächsten drannehmen, als Sharma die Idee hatte, die alte Geburtsurkunde aus Indien vorzuzeigen. Diese war zwar vom Salzburger Standesamt nicht akzeptiert worden, weil Sharmas Geburt „not registered“ war, aber groteskerweise nahm der Beamte des Innenministeriums gerade diese an. Es fehlte nur der Botschaftsstempel. Also wieder im Eiltempo zurück zur Botschaft, wieder ein Formblatt ausfüllen und wieder brav warten. Ich kochte vor Wut! Es war Donnerstag und wir mussten die Papiere bis 16 Uhr wieder zum Ministerium zurückbringen, aber die indische Botschaft machte keine Anstalten, diesen einen erforderlichen Stempel ein bisschen eher auf die Urkunde zu klatschen. Wir verhandelten mit dem Chef, aber er schüttelte immerzu den Kopf und sagte „Nahin“. Wir sollten das Papier erst um 17 Uhr abholen, aber da hatte das Ministerium ja schon geschlossen. Wir verhandelten und verhandelten, bis uns der harte indische Beamte einen neuen Termin gab - um 16 Uhr. Aber auch 16 Uhr war schon zu spät, denn wie sollte Sharma die Papiere in dem Bruchteil einer Sekunde ins Ministerium zaubern? Wir ließen also die Geburtsurkunde in der Botschaft und ruhten uns im angrenzenden Burggarten aus. Arm in Arm auf der Decke liegend, berieten wir, wie wir es schaffen könnten, die Papiere rechtzeitig zum Ministerium zu bringen, damit wir nicht noch eine Nacht in Wien verbringen mussten. Ich hatte eine Idee. Ich wollte schon vorher zum Ministerium gehen und mit dem Beamten ein bisschen plaudern und ihn so aufhalten. Währenddessen sollte Sharma zur Botschaft gehen und die beglaubigten Papiere wieder abholen und dann so schnell wie möglich zum Ministerium joggen. Gesagt – getan! Nach vielen innigen Küssen und heißen Umarmungen trennten wir uns - Sharma ging in die eine Richtung, ich in die andere. Der nette Beamte erkannte mich sofort wieder und fing von selbst an, mit mir zu reden.
„Jaja ... die liebenden Frauen, was man nicht alles für die Liebe tut! Wo ist er denn, der nette Inder? Haben Sie ihn etwa verloren?“
Dabei lachte er und schaute mich
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