Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
ein Irrtum, eine Erklärung … Der Kopfschmerz brannte, als wollte mich mein eigener Körper warnen, dass ich diesen Gedankengang zu meiner eigenen Sicherheit beenden sollte.
»Wen können wir sonst noch anrufen?«, fragte Vee.
Wir kannten beide niemanden, den wir hätten anrufen können. Absolut niemanden. Wir waren langweilige Leute ohne Freunde. Niemand schuldete uns einen Gefallen. Der einzige Mensch, der alles stehen und liegen lassen würde, um mir zur Hilfe zu eilen, saß neben mir. Und umgekehrt.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Jeep. Ohne ersichtlichen Grund stand ich auf. »Ich fahre den Jeep nach Hause.« Ich war mir nicht sicher, was für eine Nachricht ich Patch damit übermitteln wollte. Auge um Auge? Du hast mich verletzt, jetzt verletze ich dich? Oder vielleicht: Das hier ist erst der Anfang. Wenn du irgendwas mit dem Tod meines Vaters zu tun hast …
»Wird Patch nicht sauer sein, wenn er merkt, dass du seinen Jeep gestohlen hast?«, fragte Vee.
»Das ist mir egal. Ich werde hier nicht den ganzen Abend rumsitzen.«
»Ich hab ein schlechtes Gefühl bei der Sache«, sagte Vee. »Ich mag Patch schon an einem normalen Tag nicht, aber wenn er erst schlechte Laune hat …«
»Was ist mit deinem Sinn für Abenteuer passiert?« Ein wütendes Verlangen hatte von mir Besitz ergriffen, und ich wollte nichts sehnlicher, als den Jeep zu nehmen, um Patch damit eine Botschaft zu übermitteln. Ich stellte mir vor, wie ich den Jeep gegen einen Baum fuhr. Nicht so fest, dass die Airbags aufgingen, aber fest genug, um eine Beule zu hinterlassen. Ein kleines Souvenir von mir. Eine Warnung.
»Mein Sinn für Abenteuer endet normalerweise bei Selbstmordmissionen«, sagte Vee. »Es wird ziemlich ungemütlich werden, wenn er herausfindet, dass du es warst.«
Die Stimme der Vernunft in meinem Kopf hätte mich angewiesen, einen Moment lang zurückzutreten, aber mich hatte jegliche Logik verlassen. Wenn er meiner Familie Schaden zugefügt hatte, wenn er meine Familie zerstört hatte, wenn er mich angelogen hatte …
»Weißt du überhaupt, wie man ein Auto aufbricht?«, fragte Vee.
»Patch hat es mir beigebracht.«
Sie sah nicht überzeugt aus. »Du meinst, du hast gesehen, wie Patch ein Auto gestohlen hat, und jetzt willst du es auch probieren?«
Ich ging die Straße hinauf in Richtung Imperial Street, Vee dicht hinter mir. Ich sah nach links und rechts und ging dann zum Jeep hinüber. Dort versuchte ich es mit der Türverriegelung. Abgeschlossen.
»Es ist keiner drin«, sagte Vee, die ihre Hände an die Augen
gelegt hatte, um hineinsehen zu können. »Ich glaube, wir sollten gehen. Komm schon, Nora. Geh weg von dem Jeep.«
»Wir brauchen was Fahrbares. Wir sitzen fest.«
»Wir haben immer noch zwei Beine, das rechte und das linke. Meine sind in Bewegungslaune. Sie haben Lust auf einen schönen, langen Spaziergang – bist du verrückt?«, kreischte sie.
Ich zielte mit der Spitze des Strandsonnenschirms auf das Fahrerfenster. »Was denn?«, sagte ich. »Wir müssen irgendwie reinkommen.«
»Nimm den Schirm runter! Du wirst eine Menge Negativaufmerksamkeit bekommen, wenn du das Fenster einschlägst. Was ist nur in dich gefahren?«, sagte sie und sah mich mit großen Augen an.
Eine Vision blitzte durch meinen Kopf. Ich sah Patch über meinem Vater stehen, mit einer Waffe in der Hand. Das Geräusch eines Schusses durchdrang die Stille.
Ich stützte meine Hände auf die Knie und beugte mich vor, fühlte, wie Tränen in meinen Augen brannten. Der Boden fing an, sich Übelkeit erregend zu drehen. Schweiß lief mir in Strömen über die Wangen. Ich bekam keine Luft mehr, so als wäre plötzlich jeglicher Sauerstoff aus der Luft verschwunden. Je mehr ich versuchte einzuatmen, umso mehr lähmten sich meine Lungen. Vee schrie mich an, aber ihre Stimme kam von weit weg, ein Unterwassergeräusch.
Plötzlich hielt der Boden an. Ich nahm drei scharfe Atemzüge. Vee befahl mir, mich hinzusetzen, schrie etwas von einem Sonnenstich. Ich riss mich los.
»Ich bin okay«, sagte ich und hob eine Hand, als sie wieder nach mir griff. »Ich bin okay.«
Um ihr zu zeigen, dass es mir gut ging, hob ich meine Tasche auf, die ich wohl fallengelassen hatte, und da sah ich den
Ersatzschlüssel für den Jeep am Boden der Tasche. Der, den ich am Abend der Party aus Marcies Schlafzimmer gestohlen hatte.
»Ich habe einen Schlüssel für den Jeep«, sagte ich, und die Worte überraschten mich selbst. Tiefe Furchen
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