Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
leer.
Ich merkte, dass ich den Atem angehalten hatte, und atmete endlich aus. Mehrere unterschiedliche Gefühle warteten hochgespannt in mir auf ihren Einsatz, allen voran Enttäuschung und Angst. Ich hatte gedacht, ich hätte meinen Vater gesehen, aber es war doch nur ein grausamer Trick meiner
Fantasie gewesen. Mein Vater war nicht mehr da. Er würde nie zurückkommen, und ich musste einen Weg finden, das zu akzeptieren. Ich kauerte mich mit dem Rücken zur Wand hin und spürte, wie mein ganzer Körper von Tränen geschüttelt wurde.
FÜNF
S cott stand im Eingang, die Arme verschränkt. »So sehen also Damentoiletten von innen aus. Ich muss zugeben, es ist viel sauberer.«
Ich behielt den Kopf unten und wischte mir die Nase mit dem Handrücken ab. »Würde es dir etwas ausmachen …?«
»Ich geh nicht weg, bevor du mir nicht sagst, warum du mir gefolgt bist. Ich weiß, ich bin faszinierend, aber das kommt mir allmählich vor wie eine ungesunde Besessenheit.«
Ich stand auf und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Dann nahm ich ein Papierhandtuch und trocknete mich ab, wobei ich es vermied, Scotts Spiegelbild in die Augen zu sehen.
»Du wirst mir auch erzählen, nach wem du in der Herrentoilette gesucht hast«, sagte Scott.
»Ich dachte, ich hätte meinen Vater gesehen«, feuerte ich ihm entgegen, mit allem Zorn, den ich aufbringen konnte, um den stechenden Schmerz tief in meinem Inneren zu verbergen. »Da hast du’s. Zufrieden?« Ich klaubte das Handtuch auf und warf es in den Papierkorb. Ich war auf dem Weg zum Ausgang, als Scott die Tür zufallen ließ und sich dagegen lehnte, um mir den Weg zu verstellen.
»Wenn sie den Kerl, der es getan hat, finden und lebenslang einsperren, wirst du dich besser fühlen.«
»Danke für den schlechtesten Ratschlag, den ich bisher zu dem Thema bekommen habe«, sagte ich bitter. Meinem Gefühl nach würde ich mich nur besser fühlen, wenn ich meinen Vater wieder zurückbekam.
»Vertrau mir. Mein Vater ist Polizist. Er lebt dafür, überlebenden Familienmitgliedern zu sagen, dass er den Mörder gefunden hat. Sie werden den Kerl, der deine Familie zerstört hat, finden und ihn dafür bezahlen lassen. Ein Leben für ein Leben. Dann bekommst du deinen Frieden. Lass uns gehen. Ich fühle mich wie ein Perverser, hier in der Mädchentoilette. « Er wartete. »Das sollte dich eigentlich zum Lachen bringen.«
»Bin nicht gut drauf.«
Scott faltete seine Hände oben auf dem Kopf und zuckte die Schultern, wobei er unbehaglich aussah, als hasste er peinliche Momente, ganz zu schweigen davon, sie irgendwie zu deuten. »Hör mal, ich spiele Billard in dieser Kneipe in Springvale heute Abend. Willst du mitkommen?«
»Keine Lust.« Ich war nicht zum Billardspielen aufgelegt. Das Einzige, was ich damit erreichen würde, wäre, meinen Kopf mit ungewollten Erinnerungen an Patch zu füllen. Ich erinnerte mich an den ersten Abend, an dem ich ihn aufgespürt hatte, um eine Biohausaufgabe fertig zu machen und ihn im Keller von Bo’s beim Billardspielen erwischt hatte. Ich erinnerte mich daran, wie er mir beigebracht hatte, Billard zu spielen. Ich erinnerte mich, wie er hinter mir gestanden hatte, so dicht, dass ich Elektrizität gespürt hatte.
Darüber hinaus erinnerte ich mich daran, wie er immer dann aufgetaucht war, wenn ich ihn brauchte. Aber ich brauchte ihn jetzt. Wo war er? Dachte er an mich?
Ich stand auf der Veranda und durchsuchte meine Handtasche nach den Schlüsseln. Meine regennassen Schuhe quietschten auf den Planken, und meine nassen Jeans rieben die Innenseiten meiner Schenkel wund. Nachdem ich Scott verfolgt hatte, hatte mich Vee in verschiedene Boutiquen gezerrt, und während ich ihr meine Meinung über
einen lila Seidenschal im Vergleich zu einem folkloristisch handbemalten in gedeckten Farben kundtat, war vom Meer her ein Sturm aufgezogen. Bis wir zum Parkplatz gerannt waren und uns in den Neon fallen ließen, waren wir bereits völlig durchnässt. Auf der ganzen Fahrt nach Hause hatten wir die Autoheizung voll aufgedreht, aber meine Zähne klapperten immer noch, meine Kleider fühlten sich wie Eis auf meiner Haut an, und ich war immer noch ganz aufgewühlt, weil ich geglaubt hatte, meinen Vater zu sehen.
Ich drückte mit der Schulter gegen die von Feuchtigkeit aufgequollene Tür und suchte dann an der Innenwand, bis meine Finger den Lichtschalter fanden. Im Badezimmer schälte ich mich aus meinen Kleidern und hängte sie über die Stange des
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