Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt

kennt sein Geheimnis. Sie weiß, was er getan hat. Und er weiß, dass sie es weiß.« Vielleicht war Scotts Geheimnis schlicht und einfach, dass er ein Nephilim war, aber das glaubte ich nicht. Nach seiner Reaktion zu urteilen, als er gestern Abend von dem Nephilim im roten Shirt angegriffen worden war, vermutete ich, dass er gar nicht wusste, wer er in Wahrheit war und über welche Fähigkeiten er verfügte. Er hatte vielleicht seine unglaubliche Kraft bemerkt oder seine Fähigkeit, in Gedanken zu anderen Menschen zu sprechen, aber er wusste nicht, wie er sich das erklären sollte. Doch wenn Scott und seine Mutter nicht versuchten, sein Nephilim-Erbe zu verbergen, was dann? Was hatte er getan, das man verheimlichen musste?
     
    Eine halbe Stunde später kam ich zur Chemiestunde, nur um Marcie bereits an unserem Tisch vorzufinden, ins Handy sprechend, womit sie das Schild am Whiteboard ignorierte, das besagte: KEINE HANDYS, KEINE AUSNAHMEN. Als sie mich sah, drehte sie mir den Rücken zu und legte eine Hand über ihren Mund, wollte eindeutig für sich sein. Als würde mich das interessieren. Als ich es bis zu unserem Tisch geschafft hatte, hörte ich nur noch ein verführerisches: »Ich liebe dich auch.«
    Sie steckte ihr Handy in eine Tasche vorne an ihrem Rucksack
und lächelte mich an. »Mein Freund. Er geht nicht zur Schule.«
    Ich zweifelte einen kurzen Moment an mir selbst und fragte mich, ob Patch am anderen Ende der Leitung gewesen war, aber er hatte geschworen, dass das, was gestern Abend zwischen ihm und Marcie geschehen war, keinerlei Bedeutung hatte. Ich konnte mich also jetzt entweder in eifersüchtige Raserei hineinsteigern oder ihm glauben. Ich nickte mitfühlend. »Es muss schwierig sein, einen Schulabbrecher zum Freund zu haben.«
    »Sehr witzig. Nur dass du’s weißt, ich schicke nach der Schule eine SMS los an alle, die zu meiner jährlichen Sommerparty am Dienstagabend eingeladen sind. Du stehst auf der Liste«, sagte sie beiläufig. »Meine Party zu versäumen ist der sicherste Weg, dein Sozialleben zu sabotieren … obwohl es dich eigentlich nicht kümmern müsste, etwas zu sabotieren, das du sowieso nicht hast.«
    »Jährliche Sommerparty? Hab ich noch nie von gehört. «
    Sie zog eine Schminkdose hervor, die einen kreisförmigen Abdruck auf der hinteren Tasche ihrer Jeans hinterlassen hatte, und tupfte sich Puder auf die Nase. »Wohl, weil du noch nie eingeladen warst.«
    Okay, warte mal. Warum lud Marcie mich ein? Obwohl mein IQ doppelt so hoch wie ihrer war, hätte sie doch die Eiseskälte zwischen uns bemerken müssen. Das, und außerdem hatten wir keine gemeinsamen Freunde. Oder Interessen. »Wow, Marcie. Das ist aber wirklich nett von dir, mich einzuladen. Ein bisschen unerwartet, aber doch nett. Ich versuche auf jeden Fall zu kommen.« Aber nicht sehr.
    Marcie beugte sich zu mir herüber. »Ich hab dich gestern Abend gesehen.«
    Mein Herz schlug etwas schneller, aber ich schaffte es,
meine Stimme gleichförmig zu halten. Verhalten sogar. »Ja, ich hab dich auch gesehen.«
    »Das war ganz schön … verrückt.« Sie ließ ihren Satz unbeendet, als wollte sie, dass ich noch etwas dazu sagte.
    »Scheint so.«
    »Es scheint dir so? Hast du den Billardstock gesehen? Ich habe noch nie jemanden so was tun sehen. Er hat ihn durch den Tisch gebohrt! Werden die Dinger nicht aus Schiefer gemacht?«
    »Ich war hinten in der Menge, da konnte ich nicht viel sehen. Tut mir leid.« Ich wollte nicht absichtlich keine Hilfe sein; aber das hier war das einzige Gespräch, das ich nicht führen wollte. Hatte sie mich deswegen zu ihrer Party eingeladen? Um so etwas wie Vertrautheit und Freundschaft zwischen uns entstehen zu lassen, damit ich ihr dann erzählte, was ich über die Ereignisse der letzten Nacht wusste – wenn ich überhaupt etwas wusste?
    »Du hast nichts gesehen?«, wiederholte Marcie, und ein Anflug von Zweifel legte ihre Stirn in Falten.
    »Nein. Hast du für den Test heute gelernt? Ich kann den Großteil der Periodentafel auswendig, aber bei den unteren Reihen komme ich immer noch durcheinander.«
    »Hat Patch dich jemals dahin mitgenommen, um Billard zu spielen? Hast du so was schon mal gesehen?«
    Ich ignorierte sie und schlug mein Lehrbuch auf.
    »Ich habe gehört, du und Patch, ihr habt Schluss gemacht«, versuchte sie es aus einem anderen Winkel noch einmal. Ich sog etwas Luft ein, aber zu spät, mein Gesicht fühlte sich schon heiß an.
    »Wer hat denn Schluss gemacht?«, fragte