Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
und in der Ferne hörten wir den stetigen Pulsschlag lauten Hip-Hops.
»Wie war die Adresse noch mal?«, fragte Vee und blinzelte durch die Frontscheibe. »Diese Häuser stehen so weit von der Straße entfernt, dass ich die Nummern über den Garagen nicht lesen kann.«
»Zwölf-zwanzig Brenchley Street.«
Wir kamen an eine Kreuzung, und Vee bog in die Brenchley ab. Die Musik wurde lauter, als wir uns in die richtige Richtung bewegten. Autos standen Stoßstange an Stoßstange auf beiden Straßenseiten. Als wir an einer elegant renovierten Remise vorbeifuhren, erreichte die Musiklautstärke ihren Höhepunkt und ließ das Auto vibrieren. Scharen von Menschen gingen über den Rasen und strömten ins Haus. Marcies Haus. Ich warf nur einen Blick darauf und fragte mich, warum sie im Kaufhaus klauen ging. Wegen des Nervenkitzels?
Um dem sorgfältig und perfekt kreierten Image ihrer Eltern zu entfliehen?
Ich dachte nicht länger darüber nach. Ein tiefer Schmerz lag in meinem Magen. In der Einfahrt parkte Patchs schwarzer Jeep Commander. Offensichtlich war er als einer der Ersten angekommen. Er war wahrscheinlich schon Stunden, bevor die Party anfing, bei Marcie gewesen. Was er da gemacht hatte, wollte ich lieber gar nicht wissen. Ich holte tief Luft und sagte mir, dass ich damit klarkäme. Und war das nicht genau der Beweis, nach dem ich gesucht hatte?
»Was denkst du?«, fragte Vee, wobei ihr Blick auch auf dem Commander lag, als wir vorbeifuhren.
»Dass ich mich übergeben will.«
»In Marcies Eingangshalle, das wäre schön. Aber im Ernst. Kommst du damit klar, dass Patch hier ist?«
Ich biss die Zähne zusammen und hob das Kinn leicht an. »Marcie hat mich für heute Abend eingeladen. Ich habe das gleiche Recht, hier zu sein, wie Patch. Ich lasse mir nicht von ihm diktieren, wo ich hingehe und was ich tue.« Lustig; denn eigentlich war es doch genau das, was ich tat.
Marcies Haustür stand offen und führte uns in eine dunkle Marmorhalle, die voller Körper war, die zu Jay-Z rotierten. Die Eingangshalle ging in einen großen Wohnraum mit einer hohen Decke und dunklen viktorianischen Möbeln über. Alle Möbel, inklusive des Couchtischs, wurden als Sitzgelegenheiten benutzt. Vee zögerte auf der Türschwelle.
»Ich nehme mir nur ein bisschen Zeit, um mich geistig hierauf vorzubereiten«, rief sie mir über die Musik hinweg zu. »Ich meine, dieser Ort muss doch von Marcie verseucht sein. Marcieportraits, Marciemöbel, Marciegerüche. Und wenn wir schon von Portraits sprechen, wir sollten versuchen, ein paar alte Familienbilder zu finden. Ich wüsste gern,
wie Marcies Vater vor zehn Jahren ausgesehen hat. Wenn seine Autohauswerbung im Fernsehen kommt, kann ich mich immer nicht entscheiden, ob er eine Schönheitsoperation gehabt hat und deshalb so jung aussieht, oder ob es sich nur um massiven Einsatz von Schminke handelt.«
Ich griff nach ihrem Ellbogen und zog sie gewaltsam dicht an mich heran. »Du lässt mich jetzt nicht hängen.«
Vee sah mit gerunzelter Stirn hinein. »Okay, aber ich warne dich, wenn ich auch nur einen einzigen Schlüpfer sehe, dann verschwinde ich von hier. Dasselbe gilt für benutzte Kondome.«
Ich öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Die Chance, dass wir beides zu sehen bekämen, war ziemlich hoch, und es war in meinem ureigensten Interesse, ihre Bedingungen nicht offiziell zu akzeptieren.
Mir blieben weitere Diskussionen erspart, weil Marcie mit einer Bowleschüssel im Arm aus der Dunkelheit trat. Sie musterte uns beide kritisch. »Ich habe dich eingeladen«, sagte sie zu mir. »Aber sie habe ich nicht eingeladen.«
»Freut mich auch, dich zu sehen«, sagte Vee.
Marcie musterte Vee langsam von Kopf bis Fuß. »Warst du nicht mal auf so einer dummen Farbendiät? Für mich sieht’s aus, als hättest du aufgegeben, bevor du auch nur angefangen hast.« Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf mich. »Und du. Schönes blaues Auge.«
»Hast du was gehört, Nora?«, fragte Vee. »Ich dachte, ich hätte was gehört.«
»Du hast eindeutig was gehört«, pflichtete ich ihr bei.
»Könnte das vielleicht … ein Hundefurz gewesen sein, was ich gehört habe?«, fragte mich Vee.
Ich nickte. »Mir kommt’s so vor.«
Marcies Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ha, ha.«
»Da war’s wieder«, sagte Vee. »Scheint, als hätte dieser
Hund wirklich schlimme Verdauungsprobleme. Vielleicht sollten wir ihm was geben?«
Marcie hielt uns die Bowleschüssel hin. »Spende. Ohne kommt niemand
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