Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
wollte, dass sie Reue empfanden. Ich wollte, dass sie an ihren archaischen Gesetzen zweifelten. Ich wollte, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen wurden, wie sie mein
Leben erst zerstört und es mir dann völlig entrissen hatten.
Mein Kopf schwirrte und taumelte von diesen Gedanken die ganze Nacht. Meine Gefühle schwankten zwischen herzzerreißendem Verlust, Leugnen und Wut. Ich kam an den Punkt, wo ich es bereute, nicht mit Patch weggelaufen zu sein. Jedes Glück, egal wie kurz, schien mir besser als diese schwelende Qual, die ich empfand. Denn jeden Tag wachte ich mit dem Wissen auf, dass ich ihn niemals haben konnte.
Aber als die Sonne morgens am Himmel auftauchte, traf ich eine Entscheidung. Ich musste weitermachen. Entweder das, oder ich würde in eine eiskalte Depression fallen. Ich zwang mich zum Duschen und Anziehen und ging mit dem festen Vorsatz zur Schule, mir nichts anmerken zu lassen. Ein Gefühl wie von Nadelstichen durchsetzte meinen Körper, aber ich ließ nicht zu, dass auch nur irgendein Zeichen von Selbstmitleid nach außen hin sichtbar wurde. Ich würde die Erzengel nicht gewinnen lassen. Ich würde wieder auf die Füße kommen, mir einen Job suchen, meinen Strafzettel bezahlen, den Sommerkurs mit den besten Noten abschließen und mich so beschäftigt halten, dass ich nur in der Nacht, wenn ich mit meinen Gedanken allein war und nichts dagegen tun konnte, an Patch denken würde.
Bei Enzo’s gab es rechts und links jeweils einen halbkreisförmigen Balkon mit einer weiten Treppe, die in den Hauptsaal und zum Eingangstresen führte. Die Balkone erinnerten mich an kurvige Laufstege, die eine Fallgrube überschauten. Die Tische auf den Balkonen waren alle besetzt, aber in der Fallgrube waren nur noch ein paar Nachzügler, die Kaffee tranken und die Morgenzeitung lasen, übrig geblieben.
Mit Hilfe eines tiefen Atemzuges nahm ich die Treppe nach unten und ging auf den Tresen zu.
»Entschuldigung, ich habe gehört, Sie suchen Baristas«,
sagte ich der Frau an der Kasse. Meine Stimme hörte sich in meinen Ohren lahm an, aber ich hatte nicht die Kraft dazu, das zu korrigieren. Die Frau, eine Rothaarige in den besten Jahren, auf deren Namensschild ROBERTA stand, sah auf. »Ich würde gern eine Bewerbung ausfüllen.« Mit viel Mühe bekam ich sowas wie ein halbes Lächeln hin, aber irgendwie befürchtete ich, dass es nicht besonders glaubhaft aussah.
Roberta wischte ihre sommersprossigen Hände an einem Lappen ab und kam um die Theke herum. »Baristas? Nicht mehr.«
Ich starrte sie an, hielt den Atem an und fühlte, wie alle Hoffnung aus mir entwich. Mein Plan war alles, was ich hatte. Ich hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, was ich tun würde, wenn auch nur ein Teilchen davon unter meinen Füßen weggezogen würde. Ich brauchte einen Plan. Ich brauchte diesen Job. Ich brauchte ein genau kontrolliertes Leben, in dem jede Minute verplant und jede Empfindung vorherbestimmt war.
»Aber ich suche immer noch nach einer zuverlässigen Tresenkraft, nur Abendschicht, von sechs bis zehn«, setzte Roberta hinzu.
Ich blinzelte, und meine Lippen zuckten leise vor Überraschung. »Oh«, sagte ich. »Das ist … gut.«
»Nachts dimmen wir die Lampen, schicken die Baristas weg, spielen ein bisschen Jazz und versuchen, das Ganze etwas anspruchsvoller aussehen zu lassen. Früher war es hier nach fünf Uhr tot, aber wir hoffen, so die Massen anzuziehen. Knallharte Wirtschaft«, erklärte sie. »Du müsstest die Gäste begrüßen und ihre Bestellungen aufnehmen und sie dann in die Küche weitergeben. Wenn das Essen fertig ist, dann trägst du es an die Tische.«
Ich nickte eifrig, denn ich musste ihr unbedingt zeigen, wie sehr ich diesen Job wollte. Dabei hatte ich das Gefühl,
dass all die kleinen Risse in meinen Lippen aufplatzten, als ich lächelte. »Das hört sich … perfekt an«, schaffte ich mit heiserer Stimme zu sagen.
»Hast du schon Joberfahrung?«
Hatte ich nicht. Aber Vee und ich kamen mindestens drei Mal die Woche ins Enzo’s. »Ich kenne die Speisekarte auswendig«, sagte ich und begann, mich solider zu fühlen, wirklicher. Ein Job. Alles hing davon ab. Ich würde mir ein neues Leben aufbauen.
»Das freut mich zu hören«, sagte Roberta. »Wann kannst du anfangen?«
»Heute Abend?« Ich konnte kaum glauben, dass sie mir den Job anbot. Hier stand ich, konnte ihr nicht einmal ein einziges Lächeln bieten, aber sie übersah es. Sie gab mir eine Chance. Ich streckte die Hand aus, um die
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