Bis das Glück mich findet
Notwendigkeit empfinden. Doch so gesehen gab es ihr ein wunderbares Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit.
Auch wenn zu erwarten war, dass sie einsam und unglücklich sein würde, merkte sie zu ihrer Bestürzung, dass es ihr jetzt wieder so gut ging wie schon lange nicht mehr. Sie schob dieses entspannte Gefühl dem Tapetenwechsel zu und der Distanz zu diesem unerfreulichen Zwist, den Brendans Verschwinden in der Familie der Delahayes ausgelöst hatte. Was sie jedoch mehr als alles überraschte, war die Tatsache, dass sie allein mit sich selbst glücklich sein konnte. Schlagartig war ihr bewusst geworden, dass sie in den vergangenen zwanzig Jahren nie einen Tag allein verbracht hatte. Ihr Leben hatte sich stets um Brendan und Kelly gedreht, sie hatte sie jeden Tag gesehen, mit ihnen geredet (zumindest mit einem von den beiden), hatte sich darum gesorgt, womit die beiden beschäftigt waren, wohin sie gingen, wann sie wieder daheim sein würden, was sie für das Wohl der beiden tun könnte. Der Zustand war ihr völlig fremd, nur für sich selbst verantwortlich zu sein, vierundzwanzig Stunden des Tages zur eigenen Verfügung zu haben, tun und lassen zu können, was einem gefiel. Kreuz und quer durch Europa zu reisen, auf der Suche nach ihrem verschollenen Ehemann, das gehörte vielleicht nicht unbedingt zu dem Zeitvertreib, den sie sich freiwillig ausgesucht hätte, aber es war zumindest eine völlig neue Erfahrung. Außerdem machte ihr das Alleinreisen irgendwie Spaß, auch wenn es im Grunde ernst war, Brendan zu suchen.
Doch sie tat sich schwer mit der Ernsthaftigkeit, wenn sie, so wie jetzt, aus der Tür des kleinen Strandhotels in Saint-Jean-de-Luz nach draußen trat – jenem malerischen Städtchen bei Biarritz, wo Brendan sich diesem Firmenkonsortium angeschlossen hatte – und vor ihr sich das endlose Blau des Atlantiks erstreckte, dessen Wellen sich an dem weiten, geschwungenen Strand brachen. Einer der Gründe, warum Brendan unbedingt hier hatte bauen wollen, war der Atlantik. Brendan gefiel der Gedanke, dass Cork und Saint-Jean-de-Luz durch das gleiche Meer miteinander verbunden waren. Wie er behauptete, bedeutete ihm ein Bauprojekt an dieser Stelle viel mehr als etwa am Mittelmeer. (Obwohl er, wie sich später herausstellte, auch bei einer Wohnanlage in Benalmadena in Andalusien mitgemischt hatte; es ging ihm also neben der persönlichen Bedeutung schlichtweg auch ums Geld.)
Dominique hatte ihr Hotel willkürlich ausgesucht. Immer wenn sie vorher mit ihrem Mann in diese Gegend gekommen war, hatten sie in dieser Wohnanlage in Biarritz gewohnt, doch dorthin konnte Dominique jetzt natürlich nicht mehr, also hatte sie sich spontan für dieses Hotel entschieden, das preiswert, aber tadellos sauber und irgendwie, wie in manchen französischen Hotels üblich, leicht verrückt gestaltet war, mit seinen unruhigen Blumentapeten an Wänden und Decken. Dominique war ein wenig überwältigt, aber auch fasziniert, weil es so anders war – was ihr leicht schuldbewusstes Entzücken, allein unterwegs zu sein, noch weiter steigerte.
Sie wanderte von dem Hotel aus durch eine schmale, von hübschen weiß gekalkten Ferienhäuschen, die allesamt andersfarbige Haustüren hatten, gesäumte Straße und stieß auf den belebten Strand, wo die Sonne auf dem blauen Wasser glitzerte und glückliche Kinder in dem weißen Sand spielten. Sie schlenderte über die Promenade und schaute sich im Vorbeigehen die Gesichter der Gäste an, die die Strandcafés bevölkerten. Brendan war eigentlich nicht der Strandtyp – sie wusste noch genau, wie schrecklich die Flitterwochen auf Mallorca für ihn gewesen waren. Nach wenigen Minuten in der Sonne war er bereits krebsrot und musste sich in den Schatten der Beach Bar zurückziehen, während sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine knackige Bräune bekam. Er hatte sich damals großartig verhalten. Nie gejammert, dass es ihm zu langweilig wurde, während sie sich stundenlang in der Sonne röstete. (Heutzutage machte sie so etwas natürlich nicht mehr.) Er hatte sich verdammt oft verdammt großartig verhalten, musste sie zugeben. Doch dies alles wurde nun überschattet durch sein Verschwinden.
Sie setzte sich schließlich in eines der Strandcafés und bestellte citron pressé , eine Limonade aus frisch gepresstem Zitronensaft, die sie langsam trank, während sie ihre Umgebung aufmerksam betrachtete. Sie hatte sich noch nicht entschieden, wie sie Brendan gegenübertreten würde, wenn sie ihn
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