Bis das Glück mich findet
entdeckte. Manchmal malte sie sich aus, wie sie ihm eine Szene machen würde. Dann wiederum stellte sie sich vor, wie sie ihn einfach in die Arme nehmen und ihm versichern würde, dass alles wieder gut werden würde. In London war ihr die Wut als die wahrscheinlichere Möglichkeit zu reagieren erschienen. Hier im warmen Sonnenschein erschien ihr eine Auseinandersetzung unerträglich. Viel leichter war es, sich vorzustellen, wie er sie um Verzeihung anflehte und ihr versicherte, wie leid ihm alles tat, und wie sie ihm gnädig verzieh und ihm versicherte, dass sie ihn immer noch liebte.
Aber tat sie das? Die Antwort hatte sie beschäftigt, seit Kelly ihr diese Frage gestellt hatte. Dominique war immer davon ausgegangen, dass sie ihn liebte. Bisweilen sogar zu sehr, fand sie; dass er ihr mehr bedeutete als sie ihm. Früher jedenfalls hatte sie ihn ganz sicher geliebt. Doch jetzt? Nach allem, was passiert war?
Ihr Herz machte einen Satz, als ihr Blick auf den Mann fiel, der die Steintreppen vom Strand zur Promenade heraufkam. Er trug marineblaue Shorts und ein Nike-Baseballkäppi in der gleichen Farbe, das er tief in die Stirn gezogen hatte. Sein nackter Oberkörper glänzte von der reichlich aufgetragenen Sonnencreme. In der Hand hielt er sein weißes Polohemd. Auf der obersten Treppenstufe blieb er stehen, und sie hielt den Atem an. Dann nahm er das Käppi ab und fuhr sich mit der Hand über den fast kahlen Schädel. Dennoch dauerte es noch einen Moment, bis sie begriff, dass es nicht Brendan war. Bis sie begriff, dass sie sich jetzt noch nicht entscheiden musste, ob sie ihn noch liebte oder nicht. Sie bestellte sich noch ein Glas dieser Limonade. Der bittersüße Geschmack behagte ihr zunehmend.
Später an jenem Abend, als sie auf der Hotelterrasse saß, wurde sie von einem anderen Hotelgast angesprochen. Anfangs realisierte sie gar nicht, was da ablief (es war ja schließlich ziemlich viel Zeit vergangen, seit das letzte Mal einer versucht hatte, sich ihr zu nähern), und dachte sich nichts dabei, als der attraktive braun gebrannte Mann am Nebentisch sie fragte, ob er sich kurz die Zeitung ausborgen könnte, die auf dem Stuhl neben ihr lag. Sie dachte zumindest, dass er das gefragt hatte, weil er mit der Hand auf die Zeitung deutete, nicht weil sie sein schnelles Französisch verstanden hätte. In der Schule war sie recht gut in Französisch gewesen, aber seitdem hatte sie diese Sprache kaum mehr gesprochen und war auch entsprechend verwundert, dass sie trotzdem noch recht viel verstand, wenn sie Geschriebenes vor sich hatte. Sie bejahte mit einem Kopfnicken, und der Mann dankte ihr und fügte noch etwas hinzu, aber da musste sie schulterzuckend passen. Woraufhin er sie in perfektem Englisch fragte, ob sie hier am Ort Urlaub mache.
»Nur für ein paar Tage«, erwiderte sie.
»Hätten Sie eventuell Lust, mir morgen beim Abendessen Gesellschaft zu leisten?« Er lächelte ihr zu.
Dominique war baff. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte ein fremder Mann sie zum Abendessen eingeladen. Was eigentlich ziemlich armselig war, wie sie fand. (Wenn sie in der Zeit ihrer ersten Verliebtheit mit Brendan zum Essen ausgegangen war, hatten sie Lokale ähnlich dem American Burger gewählt oder billige Chinarestaurants, nie richtige Restaurants mit gestärkten Leinentischdecken, Silberbesteck und Stoffservietten. Feine Restaurants lernte sie erst kennen, als Brendan später dazu überging, Kunden oder Geschäftspartner einzuladen.) Und dennoch. Auch wenn sie sich geschmeichelt fühlte, würde sie sich nicht von einem wildfremden Mann abschleppen lassen. Außerdem, was wäre, wenn sie plötzlich Brendan entdeckte, während sie mit dem anderen Mann in einem Restaurant saß? Wie würde sie sich dann verhalten?
»Es tut mir leid«, erwiderte sie. »Ich habe schon etwas anderes vor.«
»Nun, darf ich Sie dann wenigstens jetzt zu einem Drink einladen?«
Sie wollte gerade dankend ablehnen, als sie dachte: Ach, was soll’s?, und die Einladung annahm. Sie blieben fast zwei Stunden lang an dem Tisch sitzen und plauderten. Wie er erzählte, hatte er geschäftlich in Saint-Jean-de-Luz zu tun, wohnte aber normalerweise in Paris. Er unternahm viele Geschäftsreisen durch ganz Frankreich, und er war geschieden und hatte zwei kleine Töchter, die ihm alles bedeuteten.
»Vermissen Sie sie?«, fragte sie.
»Natürlich. Aber ich habe ein gutes Verhältnis zu meiner Exfrau, und ich sehe meine beiden Kinder häufig, deshalb ist es nicht so
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