Bis die Daemmerung uns scheidet
passieren würde – Amelie würde Zeuge davon werden. Hoffentlich wusste John das auch. Das – und nur das – brachte Claire dazu, zu nicken und sich auf den Vampir zuzubewegen.
Er rührte sie nicht an. Nacheinander öffnete und schloss er mehrere Tore und endlich erreichten sie den letzten Abschnitt, der am einen Ende vergittert und am anderen Ende mit einer dicken Stahltür versehen war.
Und, bemerkte Claire, genau in diesem Bereich waren keine Kameras.
Oh Gott.
John blieb stehen und wandte sich zu ihr um. »Ich habe nicht vergessen, was du getan hast«, sagte er und tippte sich dabei auf die Haut unter seinem trüben, blinden Auge, das gespenstisch silbern glänzte. »Das geht auf deine Rechnung. Du hast mich so schlimm verletzt, dass es nie mehr heilen wird.«
»Sie haben versucht, mich umzubringen, als ich das gemacht habe«, verteidigte sich Claire und versuchte, selbstsicher zu wirken. »Deshalb geht es auf Ihre Kappe. Falls Ihnen das hilft – Sie sehen damit weitaus Furcht einflößender aus als vorher.«
Er entblößte seine Vampirzähne. Durch seinen Gesichtsausdruck wurde sie schmerzhaft an den Schrecken erinnert, der ihr damals in die Glieder gefahren war. »Würdest du das bitte noch mal wiederholen?«, sagte er. »Wie kann es bitte auf meine Kappe gehen, wenn du mir flüssigen Stickstoff ins Gesicht schleuderst?«
»Vielleicht teilen wir die Verantwortung dafür«, sagte sie. »Aber weiter würde ich nicht gehen. Machen Sie jetzt die Tür auf.«
»Erst wenn ich fertig bin«, sagte er. »Auge um Auge. So steht es in der Bibel.«
»Ich glaube kaum, dass Sie sich besonders an die Gebote halten.«
»Oh doch. Besondere Aufmerksamkeit schenke ich den Stellen, die meine Zustimmung finden – so machen es doch alle. Gut, beweg dich nicht, dann dauert es nicht so lange.« Er grinste heimtückisch. »Das soll natürlich nicht heißen, dass es nicht wehtun wird. Was hätte es für einen Sinn, wenn es nicht wehtun würde?«
Sie machte einen riesigen Schritt nach hinten. Zwecklos. Zu nah, keine Möglichkeit davonzulaufen, keine Waffen. Sie hatte nicht die Spur einer Chance und das wusste sie.
Aber betteln würde sie trotzdem nicht. Auch wenn die schreiende Stimme in ihrem Kopf ihr fast keine andere Wahl ließ.
Ich hätte diesen Ich-weiß-wer-mich-umgebracht-hat-Zettel hinterlassen sollen.
Und dann ging die Tür neben ihr mit einem scharfen, zischenden Ton auf. Sie zögerte nicht. Als sich der Vampir gerade auf sie stürzen wollte, schubste sie die Tür auf und rannte hinaus in die Lobby und um den Empfangstisch herum.
Der wütende Vampir war hinter ihr her, doch er blieb abrupt stehen, als er sah, wer sich ihm in den Weg gestellt hatte.
Amelie.
Amelie war nicht groß, aber sie wirkte so in ihrem maßgeschneiderten Seidenkostüm, mit ihren hohen Absätzen und den hellen, zu einer Art Krone hochgesteckten Haaren. Ihr Kostüm war einen Hauch heller als ihre Haut, was ihr einen geschmeidigen Marmor-Look verlieh, der durch die Reglosigkeit ihres Körpers hervorgehoben wurde.
»Ich glaube auch an Auge um Auge, John«, sagte sie. »Ziemlich fest sogar. Es ist eines meiner schlagkräftigsten Prinzipien. Du tust gut daran, dir das zu merken.«
John warf Claire einen raschen wütenden Blick zu und beugte den Kopf. »Ja, Ma’am. Das werde ich.«
»Ich glaube, ich habe dich für eine ganz bestimmte Aufgabe eingestellt, John. Nämlich einen sehr wertvollen und möglicherweise sehr gefährlichen Häftling zu bewachen.«
»Ja, Ma’am.«
»Dann wäre es jetzt wohl besser, wenn du dich wieder deiner Aufgabe zuwendest, anstatt deinen belanglosen kleinen Groll auszuleben.«
Schweigend ging er zum Empfangstisch und nahm dahinter Platz. Claire atmete zitternd aus. Sie hätte ja Danke gesagt, aber sie glaubte nicht, dass Amelie das hören wollte. Nicht jetzt.
»Du hast mir gute Dienste erwiesen, Claire«, sagte Amelie. »Und jetzt musst du mir versprechen, dass du vergessen wirst, was du heute Nacht hier gehört hast.«
»Sie meinen wegen …«
»Ich meine vergessen«, sagte die Vampirkönigin Morganvilles und die Macht ihrer Persönlichkeit traf Claire wie eine Wand aus kaltem Wasser. »Ich kann dich nicht dazu zwingen, aber ich kann dir versichern, dass ich es erfahren werde, wenn du die Informationen, die du hier gehört hast, mit jemandem teilst. Und ich glaube, wir haben bereits klargestellt, was ich von Verrat halte.«
Das war nicht die Amelie, die ab und zu genug entspannt war, um zu lächeln …
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