Bis die Daemmerung uns scheidet
Glaubst du, es interessiert sie, wer es wirklich getan hat? Ihre Auffassung von Gerechtigkeit besteht darin, die üblichen Schwachköpfe festzunehmen und einen von ihnen den Wölfen vorzuwerfen. Wer das ist, spielt keine Rolle.«
»Du sagst, du bist nicht schuldig.«
»Ich bin der übliche Schwachkopf. Claire, du verstehst das nicht. Es spielt keine Rolle. Ich bin derjenige, der dafür büßen muss.« Er zuckte wieder mit den Schultern. »Was soll’s.«
» Was soll’s? Jason, es geht um Mord! Ich weiß, dass du … nicht perfekt bist …«
Er lachte. Es war ein trockenes Geräusch, hinter dem absolut keine Fröhlichkeit steckte.
» … aber du hast noch nie jemanden umgebracht.«
»Ach ja? Und das weißt du. Du bist dir ganz sicher.«
Na ja … »Ich bin mir sicher, du würdest es mir sagen, wenn du es getan hättest.«
»Warum?«
»Weil du keine Angst hast«, sagte sie. »Du hast keine Angst davor, mich zum Ausflippen zu bringen. Du würdest mich sogar gern zum Ausflippen bringen. Aber du würdest nicht lügen.«
»Oh, ich lüge durchaus.«
»Ich weiß. Aber mich lügst du nicht an. Nicht mehr.« Sie beugte sich vor. Den Geruch der Zelle – chemische Putzmittel, Schweiß, Angst – konnte sie auf der Zunge schmecken. »Nicht, seit du versucht hast, mir das Leben zu retten.«
Er sah weg und das war ein Sieg, dachte Claire. Sie hatten nie darüber geredet, nie die Gelegenheit dazu gehabt, aber hier musste er zuhören, ob er wollte oder nicht.
»Du wusstest, dass ich da unten in den Tunnels sterben würde. Und du bist die Cops holen gegangen, obwohl du wusstest, dass sie dich verhaften würden. Du hast versucht, mir das Leben zu retten, obwohl du einfach hättest abhauen können.«
»Aber ich habe dir nicht das Leben gerettet. Sie haben mir nicht geglaubt. Alles, was ich dafür bekam, war Gefängnis. Keine gute Tat bleibt ungestraft, nicht wahr?«
»Mir bedeutet es trotzdem etwas, dass du es versucht hast. Und deshalb wirst du mir jetzt die Wahrheit sagen, Jason. Dir ist so wichtig, was ich von dir halte, dass du es wieder versuchen würdest.«
Lange sah er sie nur an. »Du hältst ja ganz schön viel von dir.«
»Nein«, sagte Claire leise. »Eigentlich nicht. Ich glaube, das weißt du auch.«
Wieder Schweigen. Sie dachte schon, dass es ewig so weitergehen würde, dass sie irgendwann aufstehen und gehen müsste, egal was als Nächstes mit ihm geschehen würde, aber da sagte Jason: »Ich habe ihn nicht umgebracht. Aber ich weiß, was passiert ist.«
Fortschritt. »Okay. Was ist denn passiert?«
»Alles, was ich getan habe, war, den Mörder ins Wohnheim einzuschleusen und ihm zu zeigen, wo er den Typen finden konnte. Deinen Freund. Doug.«
»Wen hast du ins Wohnheim eingeschleust.«
»Zuerst habe ich ihn gar nicht erkannt. Ich meine, er war schmutzig und ausgemergelt und hochgradig irrsinnig.«
»Wer?«
»Dieser alte Kerl, der Amelie so viel Ärger bereitet hat. Mr Bishop.«
Bishop ist draußen. Und er war am Verhungern. Und er war zornig.
Und dann wurde Claire mit eisigem, Übelkeit erregendem Schrecken bewusst, dass sie selbst ihm gerade draußen auf der Straße begegnet war, als er sich auf Myrnin gestürzt hatte. Deshalb war er ihr so bekannt vorgekommen. Was da draußen herumgeschlichen war, war tatsächlich das Schreckgespenst schlechthin.
Kein Wunder, dass die Vampire jetzt Panik schoben.
Nachdem er erst mal angefangen hatte zu reden, hatte Jason eine ganz Menge zu sagen. Ein Typ, den er kannte, war an ihn herangetreten – einer aus der nicht-ganz-so-legalen Community Morganvilles, der ihn in bar dafür bezahlte, Einzelheiten über einen TPU-Studenten … Doug … herauszufinden. Jason lieferte die Informationen, aber dann sagte man ihm, dass er einen Besucher zu Dougs Wohnheimzimmer begleiten müsse, um das restliche Geld zu erhalten. Das klang einfach, bis Jason in den Tunnel kam, wo er seine Kontaktperson treffen sollte, und herausfand, dass es sich nicht um irgendeinen dahergelaufenen Vampir handelte, sondern um Bishop. Amelies Vampirvater. Der fieseste, kälteste Vampir, dem Claire je begegnet war … und ehrlich gesagt war sie davon ausgegangen, dass man ihn hingerichtet hatte.
Wenn man es versucht hatte, war das wohl auch nicht ganz so gelaufen wie geplant.
»Ich wusste nicht, dass das passieren würde«, sagte Jason und senkte den Blick. Er hatte die Arme um die Knie geschlungen und sie herangezogen. In diesem Moment sah er wie ein verängstigter kleiner Junge aus. »Als
Weitere Kostenlose Bücher