Bis die Daemmerung uns scheidet
kontraproduktiv für das langfristige Überleben meiner Spezies ist. Wie einige deiner eigenen Zeitgenossen wollen jüngere Vampire uneingeschränkten Zugang zu allem, wonach es sie verlangt, ohne Rücksicht auf Konsequenzen.« Sie schwieg einen Moment. Claire wusste nicht, ob sie etwas sagen sollte, deshalb hielt sie lieber den Mund. »Ich habe mich viele Jahre lang bemüht, sie zu erziehen. Und ehrlich gesagt ermüdet mich dieser Kampf. Ich weiß noch gut, wie es war, als ich keine Verantwortung hatte, keine Sorgen. Und allmählich erscheint mir das sehr erstrebenswert.«
Das klang unheilvoll. »Was … was meinen Sie damit?«
Amelie wandte ihr den Blick zu, aber ihre Miene änderte sich nicht. »Morganville ist ein Experiment«, sagte sie. »Eines, das ich gehegt und gepflegt habe, und zwar für eine sowohl für menschliches als auch für vampirisches Empfinden lange Zeit. Aber es sieht nicht so aus, als hätten die Meinen verstanden, wie man gewinnbringend unter Menschen lebt. Auch die Menschen haben nicht gelernt, unsere Andersartigkeit zu tolerieren. Oliver hält es für vergebliche Liebesmüh, wie du weißt. Und vielleicht hat er damit recht.«
»Nein«, sagte Claire. »Ich weiß, dass es Probleme gibt. Probleme gibt es immer. Die Menschen können nicht mal unter sich ohne Gewalt und Probleme zusammenleben, und mit euch schon gar nicht. Aber irgendwie werden wir das hinkriegen. Wir schaffen das.«
»Das habe ich auch immer gedacht«, sagte Amelie leise. »Und für diesen Grundsatz gekämpft. Dafür musste ich auch bluten. Und ich musste geliebte Menschen deshalb begraben. Aber was, wenn ich mich geirrt habe, Claire? Was, wenn Morganville einfach nur eine Torheit meiner Arroganz ist? Du weißt selbst, dass es hier Menschen gibt, die es niemals akzeptieren werden, mit uns zusammenzuleben. Und Vampire, die niemals akzeptieren werden, mit Menschen zu leben. Was wollen wir uns damit, dass wir dafür kämpfen, beweisen?«
Claire wusste nicht mehr, wie sie auf dieses Thema gekommen waren, aber es fühlte sich vollkommen falsch an, dieses Gespräch zu führen. Und zu hören, dass selbst Amelie Zweifel hatte … war erschreckend. Und jagte ihr Angst ein. So viele Dinge brachen in sich zusammen.
Um nicht die Fassung zu verlieren, griff sie auf etwas zurück, was ihre Eltern sie gelehrt hatten. »Für etwas Wertvolles lohnt es sich immer zu kämpfen«, sagte Claire. »Nicht immer mit Waffen. Aber indem man … sich für etwas einsetzt. Nicht wahr?«
Amelie schien sich wieder auf ihr Gegenüber zu konzentrieren. Sie blickte Claire ein paar Sekunden lang stirnrunzelnd an, dann lächelte sie ein wenig. »So weit ich mich entsinne, ja«, sagte sie. »In der Tat werden nicht alle Kriege mit Kugeln und Schwertern geführt. Manche sind Kriege des Willens und der Ideen. Gut, dass wir uns beide daran erinnern.« Ihr Lächeln verblasste. »Aber nicht mit allen Ideen lässt sich ein Krieg gewinnen und nicht jeder Wille ist stark genug. Zu leicht bricht Finsternis über einen herein.«
»Hier wird das nicht passieren«, sagte Claire. »Wir müssen einfach nur stärker sein.«
Amelie neigte den Kopf, doch Claire wusste nicht, ob das Zustimmung ausdrücken sollte. Die Vampirin runzelte wieder die Stirn, dieses Mal musterte sie dabei jedoch das Telefon. Nach kurzem Zögern drückte sie auf die Taste für die Gegensprechanlage. »Bizzie?«, fragte sie. »Hast du eine Bestätigung, dass Michael auf dem Weg ist?«
Die Antwort kam sofort. »Nein, Gründerin. Der Wagen ist zwar angekommen, aber die anderen Bewohner des Hauses haben berichtet, dass Michael Glass nicht da ist.«
»Nicht da«, wiederholte Amelie. »Na schön. Ruf ihn auf dem Handy an. Ich glaube, er hat eins von diesen Dingern. Ich werde warten.«
Bizzie ließ den Lautsprecher an, während sie wählte. Es klingelte und klingelte, dann sagte Michaels aufgezeichnete Stimme: »Dies ist der Anschluss von Michael Glass. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.« Der Mailboxtext war mit Gitarrenklängen untermalt. Die Verbindung brach ab und Bizzie sagte: »Madam? Keine Antwort.«
»Ich habe es gehört«, sagte Amelie. Sie sah Claire an. »Weißt du, wo er ist?«
»Nein«, sagte Claire. Ihr Magen zog sich unangenehm zusammen. »Er … wir sind gestern Abend alle nach Hause gekommen. Ich weiß nicht, warum er jetzt nicht da ist.« Doch, sie wusste es. Tief in ihrem Inneren wusste sie es. Michael hatte etwas ausprobiert. Etwas, was ihn in Schwierigkeiten gebracht hat. Und
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