Bis die Daemmerung uns scheidet
sich wohl Amelie gegenübersetzen sollte. Aber nein, das ergab keinen Sinn, es sei denn, sie war diejenige, die verhört werden sollte. Allerdings lag das leider auch im Bereich des Möglichen.
Mit schuldbewusster Erleichterung hörte sie, wie irgendwo Metall knirschte und sich Türen öffneten und wieder schlossen. Schließlich ging eine dicke silberne Tür am anderen Ende des Raumes auf und ein Wachmann kam herein, der keinen schwarzen Anzug, sondern ein schwarzes Strickshirt und Bluejeans trug. Auf dem Shirt war ein kaum zu erkennendes Emblem eingestickt, das ebenfalls schwarz war. Amelies Gründerinnensymbol.
Er war ein Vampir, so viel war seiner unnatürlichen Hautfarbe nach klar, aber darüber hinaus sah er absolut alltäglich aus. Ein typisch amerikanischer Typ, der nicht anders aussah als die Hälfte der Jungs, mit denen Claire täglich aufs College ging. Ordentlich geschnittenes braunes Haar, ein freundliches, professionelles Lächeln und ein selbstbewusster Gesichtsausdruck. Er wirkte eher wie ein Personal Trainer als ein Gefängniswärter.
Jetzt trat er beiseite und Kim stolperte herein.
Claire sog scharf die Luft ein. Sie erinnerte sich nur allzu gut an Kim. Am Anfang war sie ganz okay gewesen, aber dann hatte sie sich als verlogenes, verräterisches Miststück herausgestellt. Von dem bizarren Charme, den sie immer an sich gehabt hatte, war jetzt keine Spur mehr zu sehen. Ihr Gesicht war blass, gefasst und ausdruckslos. Solche Gesichter hatte Claire schon mal im Krankenhaus gesehen, als sie ihren Vater nach seinem letzten Herzinfarkt besucht hatte. Leute, die so aussahen, wollten einfach nur die nächste Minute, die nächste Stunde, den nächsten Tag überstehen. Sie hatten keine Zukunft – und keine Hoffnung auf eine Zukunft.
Kims Haar war herausgewachsen und fiel ihr über die Schultern, ein Teil davon war noch immer in Gothic-Schwarz gefärbt, der Rest war schmutzig blond. Ihre früher so auffälligen Piercings waren verschwunden. Sie hatte überhaupt keinen Schmuck mehr an sich. Sie trug ein Strickshirt wie Mr All-American, nur dass ihres hellgelb war. Auf der Vorderseite war mit riesigen schwarzen Buchstaben »Häftling« eingestickt, in der Ecke befand sich Amelies Symbol. Claire nahm an, dass die Rückseite genauso aussah. Kim trug eine Art dehnbarer Yogahose und Sandalen.
Ihre Fingernägel waren kurz und zwei davon waren blutig vom Nägelkauen. Kein schicker Nagellack mehr. Kim sah traurig und einsam aus und ganz schön verängstigt, besonders als sie Claire und Amelie sah.
Sie fixierte ihren Blick jedoch auf Claire und machte einen Schritt nach vorne. Ihr Bewacher tippte ihr leicht auf die Schulter und Kim schaute schnell wieder weg. Er führte sie zu einem der Stühle. Ohne ein Wort setzte sie sich hin und legte die Hände auf den Tisch.
Er zog Handschellen heraus und schloss einen der Ringe um ihr rechtes Handgelenk, den anderen um den Stahlring am Tisch. Dann trat er zurück und nahm neben der Metalltür Aufstellung ein.
Kim starrte weiter vor sich hin. Nichts an ihr erinnerte mehr an die negative Einstellung, die sie immer an sich gehabt hatte. Oder die Bitterkeit? Oder das Irrsinnige … daran erinnerte sich Claire letztendlich noch am besten. Jetzt war Kim einfach … leer.
Amelie sagte: »Claire, setz dich. Du wolltest fünf Minuten. Du bekommst sie. Ich schlage vor, dass du sie gut nutzt.«
So hatte sie sich das nicht vorgestellt – dass sie von starrenden, lauschenden Zeugen umgeben sein würden. Claire war plötzlich sehr froh, dass sie Amelie in der Limousine alles erzählt hatte, denn dieses Gespräch wäre sonst sehr schwierig – wahrscheinlich sogar unmöglich – gewesen.
Kim blickte nicht auf, als Claire sich hinsetzte.
»Kim?« Keine Antwort. »Kim, du erinnerst dich an mich, oder?«
Da blickte Kim auf und in ihrem Blick lag glühender Zorn. »Natürlich erinnere ich mich. Wer würde dich schon vergessen? Wie geht es eigentlich Shane? Hat er die Nase schon voll von seinen Jugendlieben?«
Der plötzliche Wutausbruch ließ Claire zusammenzucken, aber nach einem Blick auf den Mann, der hinter Kims Stuhl stand, leckte sie sich über die trockenen Lippen und fuhr fort. »Shane steckt in Schwierigkeiten«, sagte Claire.
»Gut.« Kim setzte sich, so weit es die Handschellen erlaubten, in ihrem Stuhl zurück. »Ich hoffe, dieses Mal geht es für euch beide tödlich aus.«
Das war brutal, selbst für Kims Verhältnisse. Claire war überrascht. Sie konnte Kims Zorn ihr
Weitere Kostenlose Bücher