Bis du erwachst
halben Jahr nicht benutzt hatte, zum Beispiel den Handstaubsauber, den er gekauft hatte, weil er so «irre praktisch» war,und diese schreckliche Vase, die Charlotte ihm einmal aus Spaß zu Weihnachten geschenkt hatte).
Er schlüpfte in eine «vernünftige» graue Hose, die er nie wieder tragen wollte, und in ein kurzärmeliges Hemd mit riesigen Knöpfen, von dem er einmal gedacht hatte, es stehe ihm, legte die Amerie-CD ein und machte sich an die Arbeit.
Seine Laune hob sich, als er ein paar Stunden später sein Werk betrachtete. Er war vollkommen verrückt geworden und hatte sein Wohnzimmer in zwei Farben gestrichen: Beige und cremeweiß. Und zu seiner großen Überraschung sah es toll aus. Der künstliche Kamin war ein Geniestreich, ebenso die riesige Kerze, die nach Apfel und Jasmin roch. Und damit eventuelle Besucher nicht glaubten, er hätte sich in ein Mädchen verwandelt, hatte er der großen Fußballtrophäe – errungen auf dem Gipfel seiner sportlichen Laufbahn in der Schule – einen Ehrenplatz auf dem Kaminsims eingeräumt.
Bald folgte der Rest der Wohnung. Er löste die Tapeten im Schlafzimmer ab und strich die Wände in einem warmen Eierschalenton, kaufte bei Argos einen neuen Toilettensitz, verlegte in der Küche Vinylboden. Alles zusammen kostete gar nicht viel und sah einfach großartig aus. Er warf Tüten und Taschen mit alten Bildern, Kontoauszügen und einem ganzen Haufen Krempel weg, von dem er immer gedacht hatte, er könnte ihn noch brauchen.
Plötzlich hatte er ein helles, luftiges und sehr wohnliches Zuhause. Und zum ersten Mal im Leben freute Michael sich darauf, abends heimzukommen.
Cara hatte einen verwirrenden Tag. Denn anders als erwartet, war Ade am nächsten Morgen nicht wiedergekommen, um sich dafür zu entschuldigen, dass er einfach so gegangenwar. Er war weggeblieben, und mit jeder Minute, die die Trennung andauerte, wuchs der Schmerz in Caras Herzen. Cara gefiel sich in der Vorstellung, dass sie niemanden brauchte, doch hier saß sie nun, vollkommen fertig, weil ihr die beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben fehlten. Ade war nicht mehr greifbar. Immerhin konnte sie Lena besuchen.
Ungeduldig hämmerte sie gegen den Aufzugknopf.
Ade war weg, sie musste zu ihrer Schwester.
Nachdem Deana gegangen war, steuerte Millie die Krankenhauskantine an. Schwester Gratten hielt sie auf.
«Die junge Dame, die bei Ihnen war, hat das hier für Sie dagelassen.» Die Schwester reichte ihr einen Umschlag. Millie öffnete ihn, und darin lag die Zwanzig-Pfund-Note mit einer gelben Haftnotiz, auf der stand: «Wollte nur sehen, wie dämlich Sie sind. Bis nächstes Mal. DT.»
Millie war einen winzigen Moment verwirrt, doch dann musste sie lächeln.
Nach dem Mittagessen beschloss sie, über die Treppe zurück in Lenas Zimmer zu gehen, schließlich hatte sie Michael versprochen, ihr Fitnessprogramm ab sofort ein wenig ernsthafter durchzuziehen. Außerdem brannte sie darauf, Lena von Michael zu erzählen und wie es war, einen Mann zum Freund zu haben. Sie wollte sie wissen lassen, dass sie die ganze Zeit recht gehabt hatte: Es war tatsächlich möglich, mit einem Mann eine rein platonische Freundschaft zu führen, und – wichtiger noch –
sie
war in der Lage, sich nicht jedem x-beliebigen Mann an den Hals zu werfen, nur weil der nett zu ihr war. Sogar vom Krankenbett aus brachte ihre Schwester ihr noch etwas bei. In diesem Moment sahsie Cara, die ebenfalls zu Lenas Zimmer unterwegs war. Ihr Privatgespräch würde wohl noch etwas warten müssen.
Sie begrüßten sich, und Cara öffnete die Tür. Den Anblick, der sich ihnen bot, würden sie wohl ihr ganzes Leben nicht mehr vergessen. Er würde auf immer in ihren schlimmsten Albträumen wiederkehren. Er bot ihnen einen ersten Vorgeschmack darauf, wie es war, sich total hilflos, verlassen und tief verzweifelt zu fühlen.
Denn Lena war weg.
25
Als Millie acht, Cara dreizehn und Lena vierzehn war, hatte Kitty einmal von Chester aus angerufen. Daran war nichts Merkwürdiges, sie rief täglich bei ihnen an, seit sie dort in irgendeiner größeren Produktion mitwirkte. Meist ging Lena an den Apparat und erzählte von den täglichen Ereignissen, während sie das Bügelbrett oder die Wäsche im Auge behielt. Dabei erzählte sie auch, wenn sich eine von ihnen schlecht benommen hatte. Das Besondere an diesem Anruf war, dass Millie diesmal vor Lena am Telefon war, die in der Küche zugange war und das Abendessen kochte, wieder einmal ein
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