Bis du erwachst
sich allein gestellt. Ade, ihr einziger Freund, wirkte müde und ernst, und der Gedanke, dass etwas davon auch auf ihr Konto ging, machte sie traurig. Jetzt war es an der Zeit, ehrlich zu sein, obwohl sie nicht recht wusste, wie sie anfangen sollte. «Redet einfach darüber, lasst alles raus: eure Ängste, einfach alles», hatte Lena ihr einmal geraten, als Cara ihr davon erzählt hatte. Und das wollte sie auch. Vielleicht war die Vorratskammer nicht der richtige Ort dafür, aber im Moment stand ihnen nun mal kein anderer Raum zur Verfügung.
«Ade …»
«Cara!», rief Eliza und klopfte an die Tür.
«Was ist?»
Sie sah ganz zerzaust aus, und Cara fragte sich, ob sie sich wohl schon wieder den Rock in der Kassenschublade eingeklemmt hatte.
«Tut mir wirklich leid, aber …» Wieder biss sie sich auf ihre spezielle Art auf die Unterlippe.
«Was ist passiert?», fragte Cara müde und fragte sich, wann sie endlich dazu käme, diese Vollidiotin zu entlassen.
«Die hier ist vor ein paar Tagen angekommen, und ich habe vergessen, sie dir zu geben. Tut mir leid.»
Eliza reichte ihr eine Postkarte. Rio. Bilder vom Karneval. Ein Strand.
«Die war ja ewig unterwegs», meinte Ade.
«Was erwartest du? Falsche Postleitzahl», sagte Cara trocken. Sie überflog die Rückseite.
Liebe Cara, lieber Ade,
wie geht es meiner liebsten Tochter? Ich amüsiere mich prächtig in Brasilien.
Das Wetter ist toll. Wollte mich nur kurz bei Euch melden.
Kitty (Mum)
Das gab den Ausschlag.
«Schau dir meine Familie doch an, Ade. Kitty kennt nicht mal meine Postleitzahl. Mein Vater meldet sich überhaupt nicht, der ist mit seiner neuen Familie glücklich. Ich hab nicht mal seine Telefonnummer! Wir sind nicht alle aufgewachsen wie bei den Waltons, so wie du!»
«Das heißt doch nicht, dass wir als Eltern genauso wären!»
«Vergiss es, Ade. Ich kann nicht.»
«Was kannst du nicht?»
«
Das
hier. Ich meine, ich will nicht.»
«Reden? Schon gut, wir können auch einfach hier sauber machen und dann später darüber reden.»
«Nein, du verstehst das nicht.»
Er nahm ihre Hand. «Was ist?»
«Wir haben uns unser Leben eingerichtet. Wir schuften wie die Irren, aber wir tun es für uns, und meistens macht es ja auch Spaß. Noch hat sich die Krise nicht auf uns ausgewirkt. Wir können in den Urlaub fahren, wann immerwir wollen, und brauchen uns nicht nach irgendwelchen Schulferien zu richten. Wir haben eine tolle Wohnung, die für Kinder vollkommen ungeeignet ist. Wir schlafen am Sonntag bis in die Puppen, weil wir es so wollen. Wir können uns kaufen, was wir wollen, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben. Und an meinem freien Tag kann ich einfach auf dem Sofa abhängen und auf Sky Plus
Desperate Housewives
gucken. Wir sind niemandem verpflichtet.»
«Und?»
«Und? Manche Leute würden sich alle fünf Finger nach unserem Leben ablecken!»
«Ich will aber mehr.»
«Mehr als all das?»
«Ja.»
«Wie wäre es, wenn wir eines Tages die Bar verkaufen und ein Jahr auf Kreuzfahrt gehen würden? All die Dinge täten, von denen wir immer geredet haben?»
«Du kannst Kreuzfahrten nicht leiden. Du hast immer gesagt, das wäre wie in einem schwimmenden Altersheim.»
«Dann können wir in Hotels übernachten. Herumreisen. Wir können alles tun, was wir wollen!»
«Ich will mehr. Und ich spreche jetzt nicht von materiellen Dingen. Wir reden hier nicht von einem neuen Paar Schuhe.»
«Ade …»
«Ich versteh dich nicht, Cara. Vielleicht werde ich das nie, aber du musst mich verstehen!» Er trommelte sich wie ein Höhlenmensch auf die Brust. «Hier drin ist es, Cara! Hier drin. Ich vermisse etwas hier drin!!» Inzwischen schrie erfast. Er wurde immer lauter. Sie hatte Angst. Nicht dass er noch zorniger werden könnte, aber dass er etwas ganz anderes wollen könnte. Etwas, was nicht
sie
war.
«Das kann doch nicht alles sein! Ich will ein Kind mit dir, Cara! Ich will eine Familie gründen!»
«Ich weiß, aber, aber …» Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte.
«Aber was?» Sein Blick war flehend.
«Ich würde es nur für dich tun. Ich bin noch nicht so weit!»
Seine Antwort überraschte sie. «Wäre das denn so schlimm? Bisher habe ich mich immer nach
deinen
Wünschen gerichtet! Die ganzen zehn Jahre, die wir jetzt zusammen sind.»
Cara blinzelte.
Ade fuhr fort: «Genau, du hast richtig gehört! Cara will von einer recht guten Dreizimmerwohnung in eine Neubauwohnung umziehen, also tun wir das. Ich will
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