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Bis du erwachst

Bis du erwachst

Titel: Bis du erwachst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lola Jaye
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vielleicht wollte er das ja auch gar nicht.
    Charlotte kam vorbei, um sein Werk zu begutachten. Die Kinder waren bei ihrem Vater.
    «Die Wohnung ist ja toll! Ich kann es gar nicht glauben. Wirklich nicht!», sagte Charlotte begeistert.
    «Was, dass ich alles selbst gemacht habe?»
    Staunend sah sie sich um. «Alles. Du. Deine Kleider! Und deine Haare, beziehungsweise dass du sie dir hast schneiden lassen. Die Wohnung. Sogar den Kindern ist es aufgefallen.»
    Michael lachte. «Wie, haben sie sich zu dir gesetzt und dir einen Vortrag darüber gehalten, was für einen unglaublichen Wandel sie in meinem Verhalten festgestellt haben?»
    «Ach hör doch auf!» Sie lachte. «Obwohl George tatsächlich Sachen sagt wie: ‹Onkel Michael ist gar nicht mehr so ein jämmerlicher Tropf wie früher   …› – na ja, so in die Richtung jedenfalls.»
    «Und was sagt Serena?»
    «Etwas ähnliches, nur in Babysprache.»
    Sie strich über einen der Küchenschränke. «Kurzzeitig habe ich mir wirklich Sorgen gemacht.»
    Michael senkte den Blick. «Wirklich?»
    «Ich dachte, du hättest Depressionen – oder wärst auf dem besten Weg dorthin, Michael, und das hat mir manchmal Angst gemacht. Ich hatte Angst um dich.»
    Michael ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Er dachte an die Zeit, bevor er Lena kennengelernt hatte. Damals war er jeden Tag von der Arbeit heim in seine triste, trostlose Wohnung gegangen, hatte ab und zu bei Jen vorbeigeschaut,auf ein bisschen bedeutungslosen Sex (also gut, das hatte Spaß gemacht), und hatte sich durchs Leben treiben lassen, ohne aktiv daran teilzuhaben. Es war, als würde er zusehen, wie ein anderer sein Leben lebte.
    Bis jetzt.
    Natürlich hatte Michael keine Ahnung, wie viel Zeit ihm noch auf dieser Erde blieb – ein paar Augenblicke, Jahre oder Jahrzehnte? Aber die Zeit, die ihm zur Verfügung stand, wollte er jetzt weise nutzen. Und auch auf die Gefahr hin, wie das Happy End in einem Kitschfilm zu klingen, wollte er sein Leben ab sofort wirklich leben und keinen einzigen Moment mehr als selbstverständlich betrachten.
    «Willst du wissen, was die größte und schönste Veränderung an dir ist?», fuhr Charlotte fort.
    Er schüttelte erst den Kopf, lachte und nickte dann.
    «Die größte Veränderung an meinem Bruder ist die, dass er tatsächlich seinen faulen Hintern hochkriegt und etwas für mich kocht, wenn ich zu Besuch komme!»
    «Ich hau aber doch nur ein bisschen Tiefkühlzeug in den Ofen! Bis zum Meisterkoch dauert es noch ein wenig.»
    «Es ist ein Anfang.»
    «Und diesen ekelhaften Hummus wird es bei mir auf keinen Fall geben!»
    Er wusste nicht genau, warum, aber in dieser Nacht träumte Michael von Lena. Der Traum war ziemlich dunkel, und es ging darum, warum er sie nicht schon vor Jahren getroffen hatte, vor ihrem Unfall. Andererseits, wenn er sie unter normalen Umständen kennengelernt hätte, hätte sie dann auch so eine Wirkung auf ihn gehabt? Wäre sie nicht nur eine weitere Bettgeschichte für ihn geworden, so wie Jen?
    Aber es war auch egal. Manche Dinge hatte man einfach nicht in der Hand.
     
    Es war mal wieder einer jener Morgen, die er früher so verabscheut hatte: Die Sonne schien hell ins Zimmer, als wäre es Sommer, obwohl es draußen schweinekalt war. Aber jetzt war ihm die Illusion willkommen. Ihm war nach Singen zumute, so sehr, dass er nach Einlegen der Amerie-CD tatsächlich damit anfing.
    Er nahm seine Tasche, schlang sich den Riemen über die Schulter, betrachtete sich in seinem neuen Spiegel. Was war das? Es waren nicht nur die kürzeren Haare oder die – dank regelmäßiger Besuche im Fitnessstudio – breiteren Schultern, sondern etwas viel Wesentlicheres. Etwas, was ihn von Kopf bis Fuß wärmte.
    Es war ein Lächeln.
    Auf dem Weg zu seinem Büro winkte er dem betagten Wachmann zu.
    «Morgen!», rief er. Er wusste, dass er ein wenig high klang, aber das war ihm egal. Obwohl der Mann ihn offensichtlich nicht erkannte, grüßte er freundlich, aber leicht verwirrt zurück. Bevor Michael im oberen Stockwerk in sein Büro ging, legte er einen Zwischenstopp am Empfang ein.
    «Hallo, Moira», sagte er.
    «Ähm, hallo», erwiderte sie.
    «Ich wollte nur mal kurz guten Tag sagen», erklärte er, und dann kam – gnädigerweise – ein Anruf auf ihrem Kopfhörer herein. Er sollte sich vielleicht ein wenig in Small Talk üben, dachte er, und Moira um elf einen Kaffee anbieten.
    Es war auffällig, dass die Kollegen viel freundlicher mit ihm plauderten als sonst.

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