Bis du erwachst
rechnete, dass sich in unmittelbarer Zukunft etwas tat …
Und so war er wieder gegangen, und sie fühlte sich verlorener als zuvor. Sie fühlte sich sogar noch verlorener als damals, als ihre Eltern ihnen gesagt hatten, sie ließen sich scheiden. Verlorener als damals, als sie erfahren hatte, dass ihr Vater sich eine neue Familie zugelegt hatte. Verlorener, als sie es sich jemals hatte vorstellen können.
Sie sah in den Spiegel, sah ihre makellose neue Frisur, die nicht ahnen ließ, wie chaotisch es in ihrem Inneren zuging.
Ach, wie sie sein morgendliches Herumgeraschel in der Küche vermisste, sein Geschimpfe, wenn sie ihre schmutzige Tasse auf dem Fensterbrett abstellte! Wie sehr sie sich wünschte, dass sie sich von hinten an ihn anschleichen und ihn in die Arme nehmen könnte, ihre kleine Gestalt an seinen starken Oberkörper schmiegen könnte. Aber sie bekam nichts davon, weil er immer noch Zeit zum Nachdenken brauchte und wollte, dass auch Cara sich Gedanken machte. Sie machte sich keine Illusionen, schließlich war sie ein Scheidungskind: Ade war gegangen, um darüber nachzudenken, ob er weiter mit ihr zusammen sein wollte, jetzt, da er wusste, dass Kinder für sie nicht in Frage kamen.
Er dachte darüber nach, sie zu verlassen.
Dieser Gedanke machte ihr ungeheure Angst. Sie hoffte, bei einem Spaziergang, vielleicht im Dulwich Park, würde sie wieder einen klaren Kopf bekommen. Sie hatte das schon eine ganze Weile nicht mehr gemacht, und es war einen Versuch wert.
Sie war sich nicht sicher, ob es Michael war, den sie auf sich zukommen sah. Dieser Mann hatte zwei Kinder und einen Buggy dabei. Damit hatte sie wirklich nicht gerechnet.
«Hallo», sagte Cara mit höherer Stimme als sonst und sah die Kinder überrascht an. Der Umstand, dass sie keinerlei Wunsch hatte, sich fortzupflanzen, hielt andere noch lange nicht davon ab, dachte sie. Michael hatte ein kleines Mädchen auf dem Arm, dem der Rotz in den Mund lief, während ein kleiner Junge sich am Buggy festhielt, den Michaelschob. Der Kleine war süß, wie es so kleine Zwerge eben waren, aber das Mädchen musste noch ein wenig wachsen, bis man es als niedlich bezeichnen konnte.
«Cara, was für eine Überraschung! Wie geht’s?», fragte er.
«Gut. Und wer sind diese kleinen … Dinger?» Sie versuchte so zu tun, als ob sie sich wirklich für die Kinder interessierte. Sie wusste, dass man das in solchen Situationen erwartete.
Keusch küsste sie ihn auf beide Wangen und hoffte, dass sie nicht auch noch die Kinder küssen musste – tat man das? Dann trat sie zurück, um die kleine Truppe in Augenschein zu nehmen.
«Das sind meine Nichte und mein Neffe, George und Serena», sagte er und hielt ihr das kleine Mädchen direkt unter die Nase. Cara lächelte. Sie war verlegen. In der Nähe von Kindern fühlte sie sich immer merkwürdig. Seit etwa zwei Jahren gab es in ihrem Freundeskreis immer wieder Nachwuchs. Seither hatten sich sie und viele ihrer Freundinnen auseinanderentwickelt. Sie trafen sich noch hin und wieder, aber nur, wenn die jeweilige Freundin einen Babysitter auftreiben konnte und wenn gerade kein Kind krank war. Ja, sie hätte sie öfter mal besuchen können, aber bei der Vorstellung, so ein rotznasiges Kind in die Arme gedrückt zu bekommen, wehrte sich alles in ihr. Sie wusste einfach nicht, was sie mit Kindern
anfangen
sollte. Cara war es gewohnt, in allen Bereichen selbstsicher zu agieren: ein Geschäft und einen Haushalt zu führen, ihren Mann zu lieben. Aber ein Kind? Kinder verunsicherten sie, und das gefiel ihr nicht. Außerdem hassten Kinder sie. Und sie trampelten auf ihren schönen Schuhen herum.
Glücklicherweise ignorierte Michaels Nichte sie großzügig. Der kleine Junge sah aus, als wollte er gleich etwas Ekelhaftes sagen.
«Wie geht es Lena? Irgendwelche Neuigkeiten?», fragte Michael zum Glück gerade, als der Knabe den Mund aufmachte.
Das war immer Michaels erste Frage, egal ob er in die Bar kam, ihr eine SMS schickte oder ihr nur zufällig auf der Straße begegnete, so wie jetzt. Und ausgerechnet die Person, die sie alle zusammenhielt, konnte nicht sehen, was sie alles in Gang gesetzt hatte. Aber irgendwann würde sie es sehen. Bald. Da war sich Cara sicher. «Unverändert.»
«Also, wir sind gerade zu einem Ausflug unterwegs. Wir wollen ein bisschen joggen, stimmt’s?»
Der kleine Junge verdrehte die Augen; offenbar konnte er diesem Vorhaben nichts abgewinnen.
«Ich wollte gerade nachdenken. Dann
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