Bis du stirbst: Thriller (German Edition)
Unbefriedigt. Gewalttätig.
Sami braucht nicht lange, um sich zu erholen. Kate geht auf alle viere und sagt: »Zeig mir, wie sie’s im Knast machen.«
Gefängnissex bedeutet gewöhnlich eine linke Hand und eine alte Ausgabe irgendeines Tittenblättchens, aber Sami findet ihre Version doch entschieden interessanter.
Hinterher kuscheln sie noch ein bisschen. Es ist schön. Sie wissen Sachen voneinander. Sami erinnert sich an die Einzelheiten aus den Briefen. Er weiß, dass ihr Bruder und ihr Vater ihre Jobs verloren haben und dass sie Weihnachten immer bei Verwandten in Schottland verbringen. Sie schrieb über Alltagskram, aber Sami las es trotzdem gern. Er fühlte sich dann normal oder hatte wenigstens das Gefühl, dass sein Leben eines Tages wieder normal sein könnte.
Um sechs Uhr morgens verschwindet er aus dem Savoy auf demselben Weg, auf dem er hereingekommen ist, nach Sex riechend und Kates Geschmack noch auf den Lippen. Sami kauft an einem Kiosk dicht an der Embankment U-Bahn-Station einen Kaffee. Sitzt auf einer Bank in Victoria Gardens. Macht seinen Plan für den Tag. Der Wind kommt vom Fluss her und zerrt an den Mänteln der Pendler, die aus dem U-Bahnhof strömen.
Tony Murphy hat behauptet, er wüsste nichts von Nadia, doch er könnte gelogen haben. Toby Streak hatte zu viel Angst, um ihn anzulügen. Also was jetzt?
Er nimmt ein zerknittertes Stück Papier aus seiner Tasche und streicht es auf seinem Knie glatt. Der Name und die Nummer sind mit Bleistift geschrieben. Vincent Ruiz. Hört sich nach Ausländer an.
Sami sieht auf seine Uhr. Es ist kurz nach sieben. Er klappt sein Handy auf und tippt die Nummer ein. Bekommt einen Anrufbeantworter dran.
»Hallo, ähm, hier ist Sami Macbeth. Sie kennen mich nicht. Ich, ähm, suche meine Schwester Nadia. Ms Wallace, meine Bewährungshelferin, sagt, Sie könnten mir vielleicht helfen. Sie können mich unter dieser Nummer anrufen … wenn Sie wollen.«
Mehr fällt Sami nicht ein. Er legt auf und kauft sich noch einen Kaffee. Denkt über einen Doughnut nach. Plötzlich piept sein Handy, und er wirft einen Blick auf den Bildschirm. Es ist Nadias Nummer. Sein Herz springt in seiner Brust herum wie ein Fisch auf dem Trockenen. Heißer Kaffee ergießt sich über seine Fingerspitzen. Er klappt das Handy auf.
Zwei Worte und eine Adresse, das ist alles, was sie ihm schickt.
Triff mich, lautet die Nachricht. Das ist keine Erklärung. Keine Entschuldigung.
Die Adresse ist im East End. Sami drückt auf Wahlwiederholung. Wartet. Es klingelt und klingelt. Warum spielt sie so mit ihm?
14
Sami taucht aus dem U-Bahnhof Whitechapel auf und studiert die Karte an der Wand neben dem Fahrscheinschalter. Nicht weit von hier hatte er seinen ersten Auftritt – im Keller einer Kneipe, des White Heart, mit einer Band, die »Raw Liver«, rohe Leber hieß. Das Lokal war so klein und der Verstärker so groß, dass es den Anwohnern zufolge, die die Polizei riefen und versuchten, den Auftritt zu stoppen, lauter war als der Bombenangriff der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Das ist es, was junge Bands tun – klare Ansagen machen, hatte Sami argumentiert. Raw Liver schien zu sagen: »Wir sind vielleicht nicht so gut wie die Stones, aber wir sind lauter.«
Er geht den letzten Kilometer bis zu der Adresse. Das Haus sieht aus wie ein Fort, mit Stacheldraht auf dem Dach, Metallfensterläden, zerbrochenen Fensterscheiben und Graffiti an den Wänden.
Sami fühlt sich doppelt unwohl. Das hier riecht nach einer Falle. Warum ist Nadias Handy immer noch abgestellt? Er schaut sich die Nachricht noch einmal an … versucht, zwischen den Worten zu lesen.
Die meisten Wohnungen haben keine Nummern. Manche haben auch keine Türen. Sami findet per Ausschlussverfahren die richtige. Zweiter Stock, dritte Wohnung mit einer geflickten Sperrholztür, auf die »Fuck off« gekritzelt ist.
Sami klopft. Keiner antwortet. Er versucht es wieder und ruft dann durch die Überbleibsel eines Briefkastens.
Jemand kommt.
Ein schwarzer Rasta macht die Tür auf, Perlen klackern. Die Levis sitzen tief auf seinen Hüften, und auf seinem engen roten T-Shirt ist ein Bild von Bob Marley, wie er singt.
»Was ist los, Mon?«, fragt er.
»Ich suche Nadia.«
»Warum hast du so lange gebraucht? Sie hat auf dich gewartet«, sagt er mit singender Stimme.
»Wer bist du?«
»Puffa.«
Sami geht durch die Küche. Der Ausguss läuft über von Fastfood-Verpackungen und Müll. Unmöglich, dass Nadia an einem solchen
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