Bis du stirbst: Thriller (German Edition)

Frettchen.
    Irisch, katholisch und dazu noch aus Liverpool stammend steckt Jimmy voller Komplexe, in seinem Kopf summt ständig ein Nest aufgestachelter Bienen. Gerüchte besagen, dass er mal Priester werden wollte. Er hat drei Jahre im Seminar verbracht: was hieß, vor der Dämmerung aufstehen, Messe jeden Morgen, Schweigegelübde. Dann hatte er eines Tages das Gegenteil einer religiösen Offenbarung. Er hörte auf, an Gott zu glauben. Das hatte nichts mit Atheismus zu tun oder Humanismus oder moralischem Relativismus. Das Frettchen glaubte immer noch an eine höhere, göttliche, übernatürliche Macht, aber es waren nicht Jesus oder Mohammed oder Buddha. Die Macht lag in ihm. So wurde ein Nihilist geboren.
    Das Frettchen gab sich seiner neuen Laufbahn mit derselben zielstrebigen Inbrunst hin, die er vorher für Gott und die katholische Kirche gehabt hatte. Er wurde ein Mittelsmann der IRA . Niemand fand je genau heraus, welche Rolle er in der Organisation spielte, aber seine Telefonnummer tauchte immer wieder in den Anruflisten auf, wenn ein mutmaßlicher Terrorist gefasst wurde.
    Murphy wickelt ein blaues Handtuch um seinen Körper und steckt es unter den Achseln fest. Das Frettchen trägt auch ein Handtuch, sein Körper ist lang, sehnig, mit Tätowierungen bedeckt. Er hat eine Goldkrone über einem seiner Vorderzähne, was ihn noch rattenähnlicher macht.
    »Ich habe mich immer schon gefragt, ob fette Männer überall fett sind, weißt du. Du musst wirklich Schwierigkeiten haben, das Ding zum Pissen zu finden. Mit fetten Miezen ist das natürlich was anderes. Jedermann weiß, dass die enge Mösen haben.«
    »Was machst du hier, Jimmy?«, fragt Murphy.
    »Ich bin hier, um meine Zulieferkette zu überprüfen. Ich habe von unserem Käufer gehört, dass eines der Muster, die ich ihm geschickt habe, nicht angekommen ist.«
    »Es gab da eine Verzögerung.«
    »Mir hat keiner was von einer verdammten Verzögerung gesagt.«
    »Unvorhergesehene Umstände.«
    »Seh ich aus wie ein verdammter Idiot, Murphy? Du hattest einen verdammten Auftrag. Du solltest die verdammten Knarren nehmen, die verdammten Läufe austauschen und die verdammten Dinger außer Landes schaffen. Jetzt sitze ich hier mit Käufern, die verdammt noch mal meinen, ich würde meine Versprechen nicht halten.« Das Frettchen konnte keinen Satz herausbringen, ohne zu fluchen. »Warum war die Lieferung unvollständig?«
    »Ich habe eine der Waffen behalten.«
    »Warum?«
    »Sie gefiel mir.«
    »Das war nicht unser verdammter Deal. Die verdammten Waffen sollen im verdammten Afrika sein.«
    Murphy verteidigt sich. »Versuch nicht, mir so zu kommen, Jimmy. Ich hab dir einen Gefallen getan.«
    »Nein«, sagt das Frettchen kopfschüttelnd. »Du hast einen Gefallen zurückgezahlt. Das ist verdammt noch mal was völlig anderes. Du schuldest ein paar verdammten Leuten was, und die verdammten Leute schulden mir was. So funktioniert das verdammte System.«
    Murphys Kehle ist trocken. Er kann ihm nicht erzählen, dass Ray junior die Beretta hat mitgehen lassen und damit festgenommen worden ist. Oder dass Sami Macbeth den Safe der Asservatenkammer gesprengt hat, um sie zurückzuholen. Macbeth sollte die Knarre inzwischen entsorgt haben. Was, wenn er es nicht getan hat? Er wagt es gar nicht, darüber nachzudenken.
    Das Frettchen macht das Ende eines Handtuchs nass. Er dreht es zu einem Seil, schnippt es wie eine Peitsche und zielt auf Murphys Hüfte. Der tänzelt davon. Das Frettchen jagt ihn um den Marmortisch herum, lachend. Dann wirft er das Handtuch ins Tauchbecken und geht durch die beschlagenen Türen zu den Umkleiden hinaus.
    Murphy ringt nach Luft und ist rot, aber nicht wegen des Dampfes. Er holt sich einen Schluck Wasser von einem Brunnen und gießt sich etwas davon über die Brust.
    Vielleicht ist es an der Zeit, sich davonzumachen, denkt er. In den Sonnenuntergang hineinsegeln oder wenigstens Erste Klasse irgendwo hinfliegen. Die Bermuda-Inseln sind schön um diese Jahreszeit. Aber erst muss er die Sache mit Sami Macbeth regeln.

29
    Draußen sollte es längst dunkel sein, doch Scheinwerfer baden das Kopfsteinpflaster in einer Helligkeit, die die Straße wie eine Bühne aussehen lässt. Wir sind am rechten Ort für ein Drama – das West End. Dieses hier entfaltet sich in drei Akten.
    Die Eingangstür des Red Emperor ist mit aufeinandergestapelten Tischen verbarrikadiert. Die Küchentür ist auch verrammelt, und Sami hat alle im Vorratsraum eingeschlossen, wo