Bis du stirbst: Thriller (German Edition)
sie auf Reissäcken und Speiseölkanistern sitzen.
Sami nimmt die Halbautomatische aus der Beweismitteltüte. Wiegt sie in der Hand. Bewundert die rohe Kraft, die ihr innezuwohnen scheint. Er mag es, wie sie in seiner Hand liegt; die feinen Linien, die seine Fingerspitzen hinterlassen, wenn er über das frisch geölte Metall streicht.
Er nimmt den Ladestreifen heraus, zählt achtzehn Patronen, die wie Nacktschnecken aussehen. Dum-Dum-Geschosse. Das Magazin kann zwanzig aufnehmen. Dessie hat gesagt, Ray Garzas Junge hätte auf einen Bullen gefeuert.
Über seinem Kopf dröhnt ein Hubschrauber. Das Wamp-Wamp der Rotorblätter scheint die Luft zu erschüttern. Sami geht nach oben. Durch die Wohnung. Eine kleine Küche, ein Badezimmer, zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer.
Lucy hat einen Schreibtisch, der unter dem Fenster steht, und zu beiden Seiten ihres Stuhls sind Bücher aufgestapelt. Sie studiert BWL oder Management. Ihre Handschrift ist sauber und präzise.
Vom dritten Stock aus kann er noch mehr Polizeiautos und Krankenwagen sehen, die in der Wardour Street geparkt sind. Ein Lastwagen lädt Barrikaden ab. Polizisten in schwarzen Panzerwesten kauern hinter Autos.
Sami öffnet das Fenster. Lehnt sich hinaus. Er sucht nach einer Außentreppe oder einer Feuertreppe. Nichts. Das höchste Fenster geht auf ein kleines Dach hinaus. Der Abstand zum nächsten Flachdach auf der anderen Seite beträgt ungefähr dreieinhalb Meter. Sogar mit Anlauf ist Sami nicht sicher, ob er den Sprung schaffen würde. Und wenn er es auf die andere Seite schaffen würde, wohin würde er dann gehen?
Ein dunkler Schatten bewegt sich am Rand seines Gesichtsfelds. Er dreht sich um. Jemand beobachtet ihn. Sie kauern hinter einer Backsteinmauer auf der anderen Seite des Hofs. Ein Polizist? Ein Scharfschütze.
Scheiße. Mist. Scheiße.
Sami zieht sich vom Fenster zurück und drückt seinen Körper gegen die Wand, Angst saugt sich in seiner Brust fest. Er zieht die Rollos an einer Schnur hinunter und knipst die Lampe auf Lucys Schreibtisch aus. Geduckt läuft er durch die Wohnung, schließt die Fenster. Im Dunkeln sucht er in den Schubladen und auf den Regalen nach allem, was nützlich sein könnte – Klebeband, eine Skimaske, Schere, Zange und ein Taschenmesser.
Er kann hören, wie unten an die Tür des Vorratsraums geschlagen wird. Sami nimmt die Knarre aus dem Bund seiner Jeans. Schließt die Tür auf.
»Wird auch langsam Zeit, verdammt noch mal«, sagt der Lieferwagenfahrer. »Hier drin ist nicht genug Luft. Wir ersticken gleich.«
»Es gibt reichlich Luft.«
»Und es ist dreckig.«
»Wer sind Sie, der Lebensmittelkontrolleur?«
Lucy protestiert: »Es ist nicht dreckig. Ich mache jede Woche sauber.«
Lucys Vater und Mutter sitzen auf Reissäcken, Arm in Arm. Das Mädchen im Rollstuhl und ihre Mutter sind in der Mitte des Vorratsraums. Der Rollstuhl passt gerade so in den Raum. Ihre Mutter spricht leise. Sie ist dezent gekleidet.
»Entschuldigung, Sir. Es ist sehr dunkel hier drin und eng.«
»Sie können jetzt herauskommen«, sagt Sami. »Halten Sie sich vom Fenster fern.« Er befiehlt ihnen, sich an die Tische zu setzen, die der Küche am nächsten sind. Der Fahrer sitzt allein, kippt seinen Stuhl zurück und stellt seine Füße an die Wand.
Lucy übersetzt Samis Anweisungen für ihre Eltern. Ihre Mutter versteht nicht, was passiert.
Lucy dreht sich zu Sami herum. »Haben Sie immer noch Hunger?«
»Wie bitte?«
»Sie haben Essen bestellt. Wollen Sie das noch?«
»Ich bezahle aber dafür«, sagt Sami und zieht einen fünfzig Pfund Schein aus dem Bündel in seinem Rucksack.
»Ist das gestohlenes Geld?«, fragt sie.
»Spielt das eine Rolle?«
Lucy faltet den Schein dreimal und steckt ihn in eine Dose über dem Waschbecken. Daneben steht ein Foto mit ihren Großeltern. Sie tragen Sonntagsstaat und blicken steif in die Kamera.
Sami sieht zu, wie sie sein Essen zubereitet. Sie erhitzt einen Wok, und die Küche füllt sich mit dem Zischen von Gemüse, das in heißes Öl geworfen wird.
»Warum machen Sie das hier?«, fragt sie.
Sami kann ihr nicht antworten.
»Haben Sie wirklich eine Bombe?«
Das ist eine klare Frage. Sami hat keine Antwort darauf.
»Wofür kämpfen Sie? Wogegen protestieren Sie? Was hassen Sie – den westlichen Imperialismus, dekadente bürgerliche Verhaltensweisen? Wollen Sie Unabhängigkeit oder Freiheit? Sind Sie ein Anarchist? Hat England die arabische Welt betrogen?«
Sami will nur noch, dass sie
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