Bis einer stirbt
gerade nicht regnet â¦Â«
Wir waren unten angekommen und standen vor der Haustür. Die StraÃen glänzten schwarz wie Lakritz. Es hatte die ganze Nacht geschüttet. Marlena war skeptisch: »Das kann aber jeden Augenblick wieder losgehen.«
»Und wenn schon«, erwiderte Nils gereizt. »Sind wir vielleicht aus Zucker?«
»Er wollte mir noch was in Mathe erklären«, schaltete ich mich ein. »Wir schreiben heute eine wichtige Arbeit.«
Das stimmte sogar. Nur dass ich sie nicht mitschreiben würde. Eigentlich bescheuert, denn schlieÃlich hatte ich mich mit meinem Vater zerstritten, eben weil ich weiter zur Schule gehen wollte. Heute aber war mir das alles total egal.
Marlena merkte offenbar, dass irgendwas nicht stimmte, das sah ich ihr an, sie hatte aber keine Zeit nachzuhaken.
»Dann machtâs gut.« Sie ging zu ihrem Auto. »Wir hören nach der Schule voneinander, Klara.« Sie imitierte mit den Fingern die Form eines Telefonhörers.
»Okay«, sagte ich.
Als wir sicher sein konnten, dass sie losgefahren war, flitzte Nils mit unseren Schultaschen wieder nach oben. »Die stören nur«, sagte er.
Als er zurückkam, hatte er eine Taschenlampe dabei.
»Die brauchen wir garantiert«, sagte er.
Wir machten uns auf den Weg zur nächsten Haltestelle. Zu Fuà war der alte Segelhafen über eine Stunde entfernt. Er lag weit ab von den übrigen Hafenanlagen, oben im Norden der Stadt. Ich wollte unbedingt ab acht Uhr dort sein und auf jeden Fall bis mittags bleiben.
Die Busfahrt dauerte eine Viertelstunde. Der Bus war proppenvoll. Wir hatten gerade noch zwei Sitzplätze erwischt. Unterwegs gaben wir beide keinen Piep von uns.
Von der Haltestelle aus führte eine schmale, holprige StraÃe an einem kleinen Flusslauf entlang zum Segelhafen. Es war noch sehr dunkel. Zum Glück hatte Nils die Taschenlampe dabei. Um Viertel vor acht standen wir auf der Brücke am Rande des Hafens, von wo aus wir das gesamte Gelände im Blick hatten.
Ich erinnerte mich daran, als Kind ein paarmal mit meinen Eltern hier gewesen zu sein. Damals hatten wir noch Familienspaziergänge gemacht. Heute kam mir das vor wie die Erinnerung an ein anderes Leben.
Nils kannte sich besser aus als ich, aber auch er musste sich erst mal orientieren. SchlieÃlich aber zeigte er entschlossen auf die rechte Seite des Hafens.
»Von hier aus«, sagte er, »kann man sie nicht sehen. In so einer stillgelegten Werft ist es natürlich dunkel. Aber ich weià jetzt wieder ganz genau, wo Schröder war.«
Ich war mir nicht so sicher, ob er es wirklich wusste, behielt meine Bedenken aber für mich.
Wir gingen an der rechten Wasserseite entlang. Der Hafen war nicht groà und wir gelangten schnell an sein Ende. Danach führte nur noch ein Schlackeweg weiter, der garantiert aus dem vorletzten Jahrhundert stammte. StraÃenbeleuchtung gab es damals ja auch noch nicht. Trotz Taschenlampe musste ich mich höllisch konzentrieren, um mir nicht in einem der fünf Millionen Schlaglöcher die FüÃe zu brechen.
Rechts von uns zogen sich die Ãberreste eines alten, flachen Deiches hin, der schon lange nicht mehr gebraucht wurde, weil das Meer schon seit Jahren viel weiter zurückgedrängt worden war. Dahinter lugten anfangs noch die geduckten Dächer ein paar armseliger Wohnhäuschen hervor. Dann kam nichts mehr.
Links breitete sich zwischen Weg und Flusslauf ein unwegsames, dicht bewachsenes Gelände aus. Man konnte das Wasser riechen, aber nicht sehen.
»Irgendwo muss hier ein alter Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg sein«, meinte Nils. »In dem haben wir als Kinder oft gespielt. Und gleich dahinter kommt dann die Werft.«
Noch immer kam seine Sicherheit mir nur gespielt vor. Aber tatsächlich: Schon bald darauf konnte ich im dichten Gestrüpp links von uns ein groÃes, quaderförmiges Monstrum vor dem dunkelgrauen Himmel ausmachen. Ein erster Hauch Dämmerung setzte ein.
»Voilà , Madame: der Bunker.« Nils war spürbar erleichtert, dass er richtig gelegen hatte, und lieà den Schein seiner Taschenlampe die tristen Wände rauf und runter wandern. »In spätestens zwei Minuten sind wir bei der Werft.«
Auf dem letzten Stück Weg schlug mir ein zurücksausender Zweig ins Gesicht und verpasste mir einen schmerzhaften Kratzer.
»Verdammt!«, rief ich gereizt. »Zu dieser blöden Werft muss
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